Bleiernes Schweigen
Handymodell geklont hat. Und am Tag von Borsellinos Tod ist Ceccarelli mit Giordano auf dem Boot.«
»Ein Hellseher …« Ich öffne die Augen. »Die Nummern, Daniele.«
Er starrt aus dem Fenster. In der Ferne ein Licht. Autoscheinwerfer, die genau auf das Haus zuzukommen scheinen. Dann werden sie langsamer, biegen nach links ab und verschwinden im Dunkel.
»Ja, die Nummern. Zwei Personen. Ein Mann von der Cosa Nostra, ein Waffenhändler. Und ein Boss aus Trapani, der für die Via Georgofili lebenslänglich bekommen hat und Freimaurer ist. In einer trapanesischen Loge, zu deren Mitgliedern ein Boss der Mafiaspitze und Leute aus dem Dunstkreis von Michele Greco gehören. Hübsche Truppe. Aber das lustigste an diesen Telefonaten ist der Zeitpunkt, zu dem sie gemacht wurden.«
Ich stehe auf.
»Ich muss was trinken, willst du auch was?«
Er schüttelt den Kopf. Ich nehme eine Flasche Wasser vom Tisch, trinke einen Schluck und stelle die Flasche auf den Boden.
»Der Waffenhändler ruft am Nachmittag des 19. Juli in einem der Einfamilienhäuser an, die auf Borsellinos Weg liegen. Man weiß nicht, wer ihm antwortet. Dann führt er ein langes Telefonat nach Deutschland, und dann ist ein paar Tage Ruhe. Inzwischen ist der 21. Juli, und er ruft beim Fälscher des Vertrauens von Brusca und Bagarella an.«
»Das Passbild …«
»Genau, das Passbild. In den Tagen vor dem Attentat ruft unser Waffenhändler auch in einem Luxushotel in Palermo an. Niemand kann sich an diesen Anruf erinnern. Und vor und nach diesem Anruf wählt er die Nummer des Trapani-Bosses. Dieselbe, die zusammen mit seiner eigenen im Taschenkalender steht.«
Ich trinke. Meine Kehle ist trocken, meine Augen brennen. Eine unerträgliche Stille erfüllt das Zimmer.
Daniele drückt die Zigarette aus und verschwindet im Obergeschoss. Als er wiederkommt, ist er im Trainingsanzug. Er bietet mir noch eine Zigarette an.
Wir rauchen schweigend, der Boden ist papierübersät, unsere Köpfe bersten vor Fragen.
Ich nehme einen langen Zug und versuche die plötzlich aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Wie gerne würde ich nicht daran denken, dass ich über meine Frau rede. Wie gerne würde ich nicht daran denken, dass irgendwo in diesen Papieren der Grund für ihren Tod zu finden ist. Wie gerne würde ich jetzt nicht hier sein.
Mich nicht so einsam fühlen.
»Die Cosa Nostra mordet, und nach der Bombe werden sie vom Geheimdienst gedeckt.«
Daniele hebt den Zeigefinger.
»Nicht danach. Währenddessen. Oder davor. Noch am selben Nachmittag gehen Adriano und Elena zu diesem Mietshaus. Die Spur Curatolo lässt sich nicht eben mal so auf die Beine stellen, das glaube ich nicht. Und dass die Reise nach Palermo ausgerechnet an diesem Nachmittag ein Zufall war, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
»Und noch immer wissen wir nicht, wer Solara ist.«
»Deine Frau ist nicht wegen Solara gestorben. Merk dir das.«
Er deutet auf die Blätter am Boden. »Deine Frau ist deswegen gestorben.«
»Du weißt, wer Solara ist.«
Daniele steht auf und geht zum Fenster.
Die ersten Regentropfen prasseln gegen das Glas. Er vergräbt die Hände in den Taschen und spricht, ohne sich umzudrehen.
»Vergiss Solara.«
»Weißt du, wer er ist?«
Er antwortet nicht.
Ich lasse nicht locker.
»Weißt du, wer er ist?«
Er dreht sich um.
»Vertraust du mir?«
»Wenn ich dir nicht vertrauen würde, dann …«
»Ich frage dich aber. Vertraust du mir?«
»Ja.«
Er sieht mir direkt ins Gesicht. Und sein Blick erlaubt keine Widerrede.
»Gib dich fürs Erste zufrieden.«
Ich nicke. Stumm halten unsere Blicke einander stand. Dann dreht er sich wieder zum Fenster. Der Regen schwillt an.
»Wie du weißt, habe ich bei den Untersuchungen zu den Attentaten von ’93 mitgearbeitet«, hebt er an. Ein Mann vom Geleitschutz nähert sich dem Fenster, Daniele zieht die Vorhänge zu und tritt ins Zimmer zurück, der Mann entfernt sich.
Er beginnt von vorn, diesmal an einem anderen Punkt.
»Man wusste von den Kontakten zwischen Staat und Cosa Nostra. Die Verhandlung. Das bisschen, was man darüber weiß, lässt sich in den Urteilen nachlesen. Und es hat keinen Sinn, darüber zu reden. Ich habe da so eine Idee, aber … Es gab einen Haufen Dinge, die man nicht verstand. Eine ganze Weile hat man noch nicht einmal geglaubt, dass die Mafia die Bomben gelegt hat.«
Er senkt die Stimme. Sein nächster Satz klingt wie ein oft gesprochenes Mantra, mit dem er sich zu überzeugen
Weitere Kostenlose Bücher