Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
Vom Netzwerk:
durchjedräht, weil er en Jeräusch im Büsch jehürt haät. War eve
bluß en Rih. Widde nix.«
    Ein Reh
im Wald also. Nichts weiter. Die Menge verstreute sich schnell. Auch Jule
verließ das Gebäude. Gerade war sie ein paar Schritte gegangen, da war Michael
schon hinter ihr.
    »Jule,
bitte.«
    Sie
spürte eine Berührung auf der Schulter, drehte sich um und wich zurück.
    »Lass
es mich erklären.«
    »Was?
Dass du diesen Mörder kennst?« Die Panik in ihrer Stimme ließ sich kaum
unterdrücken.
    »Ja.«
Das Grün seiner Iris leuchtete so intensiv und bezwingend, dass sie sich ihm
kaum entziehen konnte. »Ich kenne ihn. Wir haben dieselbe Schulklasse besucht.
Aber da war er noch kein Mörder.«
    Angst
und selbstgerechte Empörung wichen. Jule kam zu sich. Sie konnte es Michael
kaum übel nehmen, mit wem er zur Schule gegangen war. Und erst recht nicht,
dass er es ihr bisher verschwiegen hatte.
    »Komm,
ich lade dich in meine Wohnung ein. Dort erzähle ich dir alles, okay?«
    Seine
Bitte klang geradezu flehentlich.
    »Okay.«
Zögernd nickte sie. »Wenn du einen Kaffee kochst.«
    »Klar.«
Die Erleichterung war ihm anzusehen. Er lächelte zaghaft. »Dann komm, es ist ja
nicht weit.«
     
    Das Mobilheim bestand aus einem
einzigen Raum, den man über die hölzerne Terrasse betrat. Kaum war Jule
drinnen, erlebte sie eine Spielart von Ordnung, die sie derart zuvor noch nie
gesehen hatte.
    Das
Innere des feststehenden Caravans hatte Ähnlichkeit mit einer Mönchsklause.
Michaels Bett links in der Ecke war erschreckend schmal und so penibel gemacht,
dass der Bettbezug sich absolut faltenfrei zu den Ecken hin spannte. Kein
Teppich bedeckte den grau melierten, blitzsauberen PVC-Boden. Bequeme
Polstermöbel fehlten völlig. Es gab lediglich zwei Stapelstühle, die sich exakt
an einem quadratischen Küchentisch gegenüberstanden. Die Tischplatte war leer
gefegt, ebenso die Arbeitsfläche der winzigen Küchenzeile. Auch auf den
schmalen Wandregalen fand sich nirgends Nippes, nur eine Hand voll Bücher. Kein
Bild bedeckte die beige Raufasertapete. Die nackten Fenster, bar jeder Gardine,
glänzten spiegelglatt und streifenfrei im Sonnenlicht. Der Fernseher war auf
einer schwenkbaren Wandhalterung befestigt, daneben schien das einzige andere
technische Gerät im Zimmer die Kaffeemaschine zu sein. Jule entdeckte rechts in
der Ecke zwei Türen. Die eine führte offenbar ins Bad, die andere schien einen
Wandschrank zu verbergen.
    »Ziemlich
kahl, was?«, kommentierte Michael, während er die Küchenzeile anstrebte. »Aber
irgendwie brauch ich das. Den freien Blick. Setz dich doch.«
    Gehorsam
ließ Jule sich auf einem der Stühle nieder. Von hier aus sah sie den einzigen
Hinweis auf Unordnung in Michaels spartanischer Behausung: eine Plastikklappbox
neben dem Kühlschrank, in der sich Altglas türmte. Soweit sie es erkennen
konnte, waren es hauptsächlich Schnapsflaschen.
    Sie
schluckte. Dann beobachtete sie Michael, wie er Kaffee aufsetzte. Jeder
Handgriff saß, keine Bewegung war zu viel. Verrückterweise erinnerte sie sein
Tun an eine japanische Teezeremonie. Ritualisiert, exakt, in Balance. Typisch
Micha eben. Sie betrachtete seinen muskulösen Rücken in dem langärmeligen
T-Shirt und den gebeugten sehnigen Nacken. Ein seltsamer Mann, dachte sie, aber
ich mag ihn. Egal, was er mir gleich erzählt.
     
    »Stefan Winter und ich haben
die gleiche Grundschule besucht, gingen sogar in eine Klasse«, begann er,
nachdem er zwei dampfende Tassen nebst Milch und Zucker auf den Tisch gestellt
und sich Jule gegenüber hingesetzt hatte. »Wir freundeten uns schnell an, waren
aus dem gleichen Holz geschnitzt. Zusammen haben wir die Schule geschwänzt,
sooft es ging. Bei jeder Prügelei auf dem Schulhof waren wir dabei. Mit acht
Jahren haben wir angefangen zu rauchen.
    Wenn es
Stefan mal wieder Scheiße ging, weil sein Alter ihn halb tot geprügelt hatte,
schlief er bei mir. Wenn ich Probleme zu Hause hatte, ging ich zu ihm.
    Dann
bin ich mit meiner Familie nach Köln-Chorweiler gezogen. Hab ich dir ja schon
erzählt. Viel später, so mit achtzehn, neunzehn, habe ich ihn da in einem Club
getroffen. Er hatte die Schule abgebrochen und jobbte als Rausschmeißer. Die
ersten Haftstrafen hatte er schon hinter sich. Er hauste bei irgendwelchen
Kumpels, machte mit Drogen rum, soff sich die Birne weg. Und er träumte dauernd
davon, die große Knete zu machen. Illegal, versteht sich. Eine Zeit lang haben
wir versucht, die alte Freundschaft aufleben

Weitere Kostenlose Bücher