Bleischwer
Wirkung. In dem Moment näherte sich
die mollige Verkäuferin und stellte schnaufend einen dampfenden Kaffeebecher,
Zuckerschale und Milchkännchen vor Jule ab.
»Bitteschön,
Frau Maiwald.« Erst jetzt erkannte sie die junge Frau. Letzten Sommer hatte sie
im ›Eifelwind‹ auf der Terrasse gekellnert; allerdings war sie da noch etliche
Pfunde leichter gewesen.
»Danke … Denise.« Jule lächelte freundlich. »Ich wusste gar nicht, dass Sie jetzt hier
bei Esser beschäftigt sind.«
Die
junge Frau kicherte. »Beschäftigt, so kann man es auch nennen. Ich hab doch den
Franz geheiratet, letztes Jahr im November.«
Stolz
breitete sich in ihrem pausbäckigen Gesicht aus. Jule schluckte, schockiert ob
des Gehörten. Franz Esser war erst im Sommer Witwer geworden und musste
mindestens an die sechzig sein. Denise dagegen schätzte sie auf höchstens Mitte 20. Nun ja, dachte sie
nüchtern. In materieller Hinsicht war Esser wohl eine gute Partie. Immerhin
besaß er drei Bäckereifilialen hier in der Gegend.
»Ich
gratuliere Ihnen nachträglich ganz herzlich.« Jule bemühte sich aufrichtig zu
klingen. »Mein Gott, dann wohnen Sie ja gegenüber von dem Haus, in dem der Mord
geschehen ist.«
Denise
nickte eifrig. »Klar, direkt über der Backstube. Vom Schlafzimmer aus guckt man
auf das Haus der alten Pütz’. Hab öfter gesehen, wenn die Bohr Besuch von ihrer
Schwester oder von irgendwelchen Typen hatte. Ich hab nie kapiert, was die
Männer an ihr fanden. Die war doch klapperdürr und total flach auf der Brust.«
Denise warf sich in Positur und streckte ihren beachtlichen Busen demonstrativ
nach vorn.
Jule
konnte sich ein Lächeln nur mühsam verkneifen und streute schnell ein: »Ich hab
gehört, diese Sonja Bohr soll krank gewesen sein. Krebs. Hatte schon einige
Chemos hinter sich. War deshalb extrem abgemagert.«
Jetzt
starrten sie sowohl der Knollennasige als auch Denise Esser mit offenem Mund
an.
»Quatsch!«,
entfuhr es Denise. »Die Bohr war dauernd auf dem Diätentrip. Irgendwann hat sie
die Kurve nicht mehr gekriegt und es übertrieben mit der Abnehmerei! Sag du
doch mal was dazu, Eddie!«
»Vum
Krebs han ich och nix jehurt«, pflichtete der sofort brav bei. »Dat hät man he
im Dörp doch mitjekrech!«
Jule
sah verwirrt von einem zum anderen. In einem Eifeldorf wie diesem blieb mit
Sicherheit nichts unbemerkt, überlegte sie. Und schon gar nicht etwas dermaßen
Eklatantes wie eine Krebserkrankung. Regelmäßige Arztbesuche mussten doch
auffallen. Nachdenklich nahm sie einen Schluck von ihrem sehr heißen, sehr
bitteren Kaffee.
Denise
aber schüttelte noch einmal resolut den Kopf, bevor sie ihre Pfunde zurück
hinter die Verkaufstheke wuchtete. Die Kundschaft wartete.
Jule
schaute aus dem Fenster und überlegte. Hatte Sonja Stefan Winter belogen, damit
der weich wurde und ihr das Versteck der Beute verriet? War der Schuss
gründlich nach hinten losgegangen, indem Winter, anstatt sie bloß mit
Informationen zu versorgen, direkt aus dem Gefängnis geflohen war? Hatte er
letzte Nacht herausgefunden, dass seine Exverlobte kerngesund war? Hatte er sie
deshalb umgebracht? Oder war Sonja Bohr mit dem Wissen um ihre Krankheit
einfach sehr diskret umgegangen? Aber warum sollte Stefan Winter sie dann
getötet haben? Er war vernarrt in sie gewesen, hatte ihr helfen wollen. Das
alles passte nicht zusammen.
Jule
leerte den Kaffeebecher, zahlte an der Theke, lächelte Denise noch einmal
freundlich zu und verließ samt ihrer Brötchentüte die Bäckerei Esser.
Erst Viertel vor vier. Jule
fragte sich, wie sie den Nachmittag totschlagen sollte, ohne Jörg und ihrer
gemeinsamen Vergangenheit zu nahe zu kommen. Langsam schlenderte sie Richtung
Ortsausgang. Michael Faßbinders nackter, muskulöser Körper kam ihr in den Sinn,
wie er entspannt schlafend neben ihr im Bett gelegen hatte. Zärtliche Gefühle
stiegen in ihr hoch, gleichzeitig quälte sie der Stachel des schlechten
Gewissens. Das hatte Jörg nicht verdient. Soweit sie wusste, war er ihr stets
treu gewesen.
Sie
dachte an seinen schockierten Gesichtsausdruck, als sie ihm im Krankenhaus die
Sache mit Jan gebeichtet hatte. Jan arbeitete wie sie in der Verwaltung des
Diakonischen Werkes in Neuss. Sie hatten sich einige Monate gekannt, bevor er
ihr Liebhaber wurde. Sie hatte ihn als humorvollen und loyalen Kollegen zu
schätzen gelernt. Freunde waren sie gewesen. Warum bloß hatte sie es nicht
dabei belassen?
Weil du
es nicht ertragen kannst, glücklich zu
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