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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Prozess, bei dem klar ist, wie er ausgeht. Keine Gnade, SV bis
zum Ende. Das volle Programm. Ich steh das nicht durch, schon gar nicht, wenn
ich weiß, dass Sonjas Mörder draußen frei rumläuft … Micha,
das ist kein Leben … «
    »Ja, da
hast du recht. Das wäre es nicht.«
    Jule
konnte sich nicht mehr zurückhalten und lugte vorsichtig durch das Fenster. Sie
sah Michaels breiten Rücken und daneben Stefan Winter im Profil, wie er vor dem
offenen Kleiderschrank stand. Seine ganze Haltung drückte Hoffnungslosigkeit
aus. Michael legte dem Freund einen Arm um die hängenden Schultern. Schnell
duckte Jule sich und presste den frierenden Körper an die Bretter.
    »Weißt
du, Stefan, wie oft ich mir in den letzten Jahren gewünscht hab, wir hätten
damals nicht auf den Typ gehört und den Überfall auf die Sparkasse sein
gelassen … «
    Das
klang so inbrünstig, dass Jule schlucken musste.
    Stefan
lachte trocken. »Frag mich mal, Kumpel. Ich hab das schon tausendfach bereut,
auch den Schuss auf den Bullen. Und immer wenn es hieß: Verlegung in eine
andere JVA, Hochsicherheitstrakt, keine Chance auf Haftlockerungen, null
Ausführungen usw., hab ich mir diese Frage gestellt. Uns war doch klar, wie
wackelig die Sache war. Aber weißt du, ich hab lange genug für die Scheiße
gebüßt. Jetzt ist es genug … «
    Jule
hörte, wie die Schranktür geräuschvoll zugeschlagen wurde, dann Schritte, dann
nichts mehr.
    Mit
wild klopfendem Herzen verharrte sie an der Wand des Mobilheims. Ihre Füße in
den Wanderstiefeln waren inzwischen gefühllos vor Kälte. Nach geraumer Zeit
riskierte sie endlich einen zweiten Blick durch die Fensterscheibe. Regungslos
saß Michael am Esstisch, die Ellbogen auf die Platte gestützt und das Gesicht
in den Händen vergraben. Er war allein. Stefan Winter war offenbar gegangen.
    Jule
betrachtete Michael unschlüssig. Er bot ein jammervolles Bild. Sacht stieß sie
sich von der Holzwand ab und umrundete zögernd die Unterkunft. Kurz darauf
stand sie vor der Terrassentür und klopfte. Michael fuhr auf, als habe man ihn
auf frischer Tat ertappt. Sein verstörtes Gesicht leuchtete ihr blass aus dem
Dämmerlicht des Raumes entgegen. Als er Jule erkannte, machte sich Freude darin
breit.
    »Hi«,
begrüßte sie ihn zurückhaltend. »Darf ich reinkommen?«
    »Klar.«
Michael fuhr sich mit der Hand durchs Haar, lächelte sein schüchternes Lächeln
und trat auffordernd zur Seite. »Mach schnell. Du siehst durchgefroren aus.«
    »Bin
ich auch.« Sie spürte, wie sie errötete und sprach schnell weiter. »Ich habe
meinen Waldspaziergang gemacht. Ziemlich lange diesmal.«
    »Ja, so
siehst du aus. Möchtest du etwas Warmes trinken? Einen Tee vielleicht?«
    »Gerne.«
Jule zog Handschuhe, Schal und Jacke aus und hing alles über einen Stuhl. »Am
liebsten mit Schuss.«
    Michael
grinste. »Hab ich mir schon gedacht.« Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst,
und er betrachtete sie lange aus seinen graugrünen Augen. »Dein Mann sitzt mit
zwei anderen Rechtsverdrehern in Odenthals protzigem Doppelachser. Traust du
dich deshalb nicht zu deinem Stellplatz?«
    Jule
nickte betreten.
    Daraufhin
drehte Michael sich wortlos weg und machte sich am Herd zu schaffen.
    Jule
war die Situation ungeheuer peinlich. Sie hatte es nicht so darstellen wollen,
als ob Michael ihr als Lückenbüßer diente. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst
war, traf wohl genau das zu. In mehrfacher Hinsicht. Also stand sie mitsamt
ihrem schlechten Gewissen in Michaels Bleibe herum und wusste nicht recht,
wohin mit sich. Der erbarmte sich endlich und wandte sich ihr mit der
Rumflasche in der Hand zu.
    »Nun
setz dich doch. Der Grog ist gleich fertig. Aber am besten ziehst du deine
Schuhe aus. Du machst Pfützen auf meinen Fußboden.«
    Erschrocken
schaute Jule an sich herunter. Tatsächlich. Eine bräunliche Wasserlache
breitete sich in dem sonst so sauberen Zimmer aus. Schleunigst entledigte sie
sich der Schuhe und wischte den Boden mit einem Lappen sauber.
    Wenige
Minuten später saßen sie sich an Michas Küchentisch gegenüber. Jule wärmte die
eiskalten Finger an ihrem Becher und seufzte nach dem ersten Schluck heißen
Grogs wohlig auf. Um das Schweigen zu brechen, erzählte sie von ihrem Besuch im
Dorf. Als sie erwähnte, dass die Dorfbewohner nichts von der Krebserkrankung
Sonja Bohrs gewusst hatten und auch nicht daran glaubten, verengten sich
Michaels Augen zu schmalen Schlitzen.
    »Die
Sonja war immer schon ’ne Schlampe«, stieß er

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