Bleischwer
wandte sich nach links zur Steinbacher
Bäckerei, die Stehcafé und Poststelle in einem war. Hinter dem Schaufenster
drängten sich die Menschen. Aha, hier also traf sich die Dorfgemeinschaft zur
Lagebesprechung. Hier war sie richtig.
Drinnen
vermischte sich feuchtwarme, abgestandene Luft mit dem köstlichen Duft frischer
Backwaren. Die Stimmung war erstaunlicherweise nicht gedrückt, sondern
energetisch aufgeladen.
»Sie
war eh eine Schlampe, die keiner hier in Steinbach haben wollte, oder?«,
giftete gerade eine dicke Mittfünfzigerin mit schauderhaft weißblond gefärbter
Dauerwelle. »Ist nicht schade drum.«
Die
mollige Bäckereifachverkäuferin inmitten von Kuchen, Brötchen und Eifeler
Broten konterte. »Trotzdem wird es Zeit, dass sie diesen Mörder schnappen.
Unglaublich, dass die ihn noch nicht haben. Als wenn es hier im Tal so viele
Verstecke gäbe.«
»Also,
ich wür ja ins bei demm Faßbinder im ›Eefelwind‹ nolure. Der wor als Küng mit
demm Stefan Winter janz eng. Un wie ihr alle wüsst, ist der Micha net ohne.
Wenn der zovill süff, tick der us. Im Knast wor der uch at.«
Das kam
von einem Mann mittleren Alters in Arbeitshose und kariertem Hemd, dessen
Knollennase rot leuchtete wie eine Weihnachtskugel.
»Na,
ich steck das der Polizei jedenfalls nicht«, erwiderte die gefärbte Blondine.
»Ich riskier doch keinen Ärger mit Gerti und Hermann!«
»Stemp,
nie mi eh Bierche bei Hermann drünke … « Der
Knollennasige guckte erschrocken. »Dat wör nüs für mich.«
»Und
mit den Brotlieferungen für den Campingplatz wär’s auch vorbei«, wehrte die
Moppelige hinter der Brottheke wehrte ab. »Nicht auszudenken, was das für ’ne
finanzielle Einbuße wäre.«
Einhelliges
Kopfnicken aus der Menge der Wartenden erfolgte. In dem Moment bemerkte man den
Neuankömmling. Schweigen breitete sich aus, was Jule einmal mehr bewusst
machte, dass sie hier, obwohl sie seit Jahrzehnten ihren Urlaub in diesem Tal
verbrachte, immer noch eine Fremde war.
Diskret
ging man zum Alltagsgeschehen über. Man kaufte Brötchen und Kuchen, die Männer
an den Stehtischen schlürften Kaffee und Kaffee-Cognac. Jule stellte sich in
der Schlange für ein Milchbrötchen und eine Laugenstange an. Während sie
Kleingeld aus dem Portemonnaie kramte, kreisten die Gedanken wie nervöse
Fliegen in ihrem Kopf.
Jeder
im Dorf schien Bescheid zu wissen über die Jugendfreundschaft zwischen Michael
und Stefan, hüllte sich jedoch wegen Gerti und Hermann in Stillschweigen. Ein
Glück, dass die Besitzer des Campingplatzes dermaßen geachtet und geschätzt
wurden. Sonja Bohr, geborene Pütz, hatte sich dagegen offensichtlich wenig
Beliebtheit erfreut, obwohl sie doch den – wenn
auch fragwürdigen – ›Bonus‹ der Todkranken gehabt haben musste. Seltsam.
Auch
war in der Bäckerei nichts von Schock, Angst oder Traurigkeit zu spüren.
Sensationslust, ja, vielleicht noch Beunruhigung, mehr aber nicht. Jules
Spürsinn war geweckt. Wer war diese Sonja gewesen? Warum mochte man sie nicht
im Dorf?
Spontan
orderte sie einen Kaffee und bahnte sich dann den Weg zu einem der Stehtische
am Schaufenster. Sie gesellte sich zu dem Mann mit der Knollennase. Von Nahem
leuchteten ihr die unzähligen geplatzten Äderchen auf seiner Nasenspitze und
den bartstoppeligen Wangen entgegen. Seine Hand zitterte, wenn er die
Kaffeetasse zum Mund führte. Er kam ihr bekannt vor. Hatte sie ihn nicht früher
mal als Mechaniker in der kleinen Kfz-Werkstatt am anderen Ende des Dorfes
gesehen, die allerdings zu Beginn des Jahres geschlossen worden war?
»Meine
Güte, was für eine schreckliche Geschichte«, warf sie beiläufig ein. »Die arme
Frau!«
Der
Mann neben ihr schnaubte verächtlich. »Na ja, von weje arm! Usjenomme hät öt
die Männ. Der Bohr is bis hück noch net widde op de Föss jekumme. Och mit demm
Winter hät die domols uch nur jet, weil öt sich finanzielle Fürdel davon
versproch. Dot wor en janz Usjebuffte, sach ich üch. Un wie et de Oma dazu
jekrech het, öm dat Huß zo vererve, is mir uch schleierhaf!«
»Sie
meinen also, Sonja Bohr hat bekommen, was sie verdient hat?«, fasste Jule mit
unschuldiger Miene zusammen. Gespannt beobachtete sie die Reaktion des
Trinkers.
»Na,
dat is net jerad … «, lenkte dieser unbehaglich ein. »Sujät wünsch ma kenem, eve
jemoch hät öt kene he im Dörp. Wor eh link Lode.«
Er
schwankte leicht und hielt sich schnell mit der Pranke an der Tischplatte fest.
Der Kaffee-Cognac tat offensichtlich seine
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