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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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überhaupt nicht mehr gedacht.
Und sie war völlig ahnungslos gewesen, dass sein Gesundheitszustand sich
offenbar rapide verschlechtert hatte.
    »Er ist
zu Hause. Es geht ihm nicht gut«, teilte sie Micha mit, der im Schatten einer
Kiefer gewartet hatte.
    Sie
verloren keine Zeit. Das Fertighäuschen der Campingplatzbesitzer lag nicht weit
entfernt, in der Nähe des Angelsees. Verschämt verbarg es seine schmutzig weiße
Schäbigkeit hinter einer Buchenhecke. Alle Rollos waren herunter gelassen.
Trotzdem sickerte Licht durch die Ritzen. Die Außenbeleuchtung war angeschaltet
und bestrahlte einen kitschigen, halb verwelkten Frühlingskranz, der, von einer
rosa Schleife gehalten, an der Haustür hing. Ein angeschlagenes Keramikschild
verkündete, dass hier Gertrud und Hermann Weyers wohnten.
    »Moment.«
Jule hielt ihren Freund am Arm zurück. »Bevor wir reingehen: Denk dran, Hermann
ist todkrank. Geh behutsam mit ihm um!«
    Sie sah
die Verzweiflung in seinem Gesicht und nahm seine Hand. Das hier war schon
schwer genug für ihn; sie durfte es nicht noch schwerer machen.
    »Ich
frag mich die ganze Zeit, wo Stefan von Donnerstag bis Samstag gesteckt hat«,
murmelte Micha und fuhr sich mit der freien Hand von vorn nach hinten durch das
gefärbte Haar. »Das ist das Puzzleteil, das noch fehlt.«
    »Ja,
und Sonjas Tod. Wir wissen immer noch nicht, wer sie erstochen hat, wenn wir
davon ausgehen, dass Becker ausscheidet.«
    »Einer
von den Rechtsverdrehern, würde ich sagen. Wer sonst?«
    Jule
zuckte zusammen. Es fiel ihr weiterhin schwer, sich Leo, Peter oder gar Jörg
als brutale Mörder vorzustellen. Ein Trio, das es sich zum Hobby gemacht hatte,
die Diamanten aus einem Bankraub aufzuspüren, um sich damit ein unbeschwertes
Leben zu machen – ja. Raserei aus Eifersucht bei Jörg – okay.
Aber ein solches Blutbad?
    »Kann
ich mir nicht vorstellen«, sagte sie.
    »Mmmh.
Egal. Eins nach dem anderen.« Micha drückte energisch auf den Klingelknopf. Es
gongte melodisch.
    Ansonsten
geschah nichts.
    Er
drückte noch einmal. Wieder gongte es.
    Dann
hörte man ein leises Schaben. Aber niemand kam.
    Nun
klingelte Micha Sturm.
    »Scheiße!
Was ist da los? Drinnen brennt doch Licht! Sie müssen da sein. Komm!«
    Eilig
zog er sie mit sich, auf die Rückseite des schlichten kleinen Hauses. Vor einer
schmalen Holztür blieb er stehen und rüttelte an der Klinke. Abgeschlossen. Hastig
sah er sich um. Im Schein des Vollmonds war es nicht allzu dunkel. Sein Blick
fiel auf einen Holzblock, durcheinander gewürfelte Aststücke, Holzspäne und auf
eine Schubkarre. Darin lag offenbar das, wonach gesucht hatte. Eine kleine Axt.
Er griff sie, lief zur Hintertür und holte weit aus.
    Krachende
Schläge durchbrachen die Stille der Nacht. Sie mussten kilometerweit zu hören
sein. Jule wartete mit wild klopfendem Herzen. Ein ums andere Mal holte Micha
mächtig Schwung und trieb die Axtklinge ins Holz. Bei jedem Hieb blitzte das
Metall kalt im Mondlicht auf. Sie fühlte sich an den Anblick seiner kraftvollen
Bewegungen beim Schneeschippen erinnert und wie die weiße, kristalline Masse
funkelnd durch die Luft geflogen war.
    Bald
hatte Micha die Tür so weit bearbeitet, dass sie neben der Klinke ein großes,
gezacktes Loch ausmachen konnte. Er warf das Werkzeug zur Seite und griff
zwischen die Splitter in die Öffnung.
    »Wie
ich mir dachte. Der Schlüssel steckt«, triumphierte er und sperrte die
demolierte Hintertür mit einem Ruck auf.
    Drinnen
im Flur wartete unheilvolle Stille. Kleine, kelchförmige Wandlaternen spendeten
ein spärliches, funzeliges Licht; tiefe Schatten lauerten in den Ecken. Die
Angst kroch in ihr Herz.
    Micha
zog seine Waffe. Jule hielt sich hinter ihm. So erreichten sie das Wohnzimmer.
    Der
Anblick, der sich ihnen bot, war zu schrecklich, um ihn im ersten Moment fassen
zu können. Hermanns Oberkörper spannte sich auf einem kleinen Sessel weit nach
hinten. Sein Hinterkopf mit dem spärlichen, weißen Haar hing über der Lehne,
der sonst so faltige Hals war überdehnt, die Haut straff gespannt, spitz stach
sein Adamsapfel hervor. Die Arme des Alten waren hinter der Sessellehne
gefesselt. Seinen Bauch und seine Füße hatte man ebenfalls mit Stricken fest an
das Möbelstück gebunden. Jule trat zitternd näher. Sie stieß einen kleinen,
wehen Schrei aus, als sie in die offenen, leblosen Augen des Mannes sah, der
einmal Hermann Weyers gewesen war.
    »Er ist
tot«, wimmerte sie. »Micha, er ist tot.«
    Ihr
Freund war neben der

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