Bleischwer
Mörder hielt. Der Personenkreis,
der im ›Eifelwind‹ dafür infrage kommt, ist nicht besonders groß … «
»Außerdem
hatte Hermann 1987 mit mir gemeinsam die Beute am Fuße des Weinstocks
vergraben«, ergänzte Micha. »Die Zeilen, die das Versteck beschreiben, stammen
aus seiner Feder. Nur Hermann wusste also außer Stefan und mir von der
Blechdose auf dem Maiwald’schen Stellplatz. Nur er konnte Geld und Edelsteine
entfernt haben. Aber, ehrlich gesagt: Ich hätte das nie für möglich gehalten.
Ich habe ihm vertraut. Von Grund auf.« Die Enttäuschung in seiner Stimme war
nicht zu überhören. Gerti öffnete den Mund, aber er hob abwehrend die Hand und
sprach weiter: »Auch Stefan muss kapiert haben, dass Hermann das Versteck
ausgeräumt hatte. Also stellte er ihn Sonntagnacht am Angelsee zur Rede. Und
Hermann erschlug ihn hinterrücks und feige … «
»So war
das nicht!«, protestierte Gerti absolut dialektfrei. »So darfst du nicht von
deinem Onkel denken! Jetzt hör mir mal gut zu … « Jule
hatte den Eindruck, dass sie die Eifeler Mundart vermied, damit ja kein Wort
oder auch nur eine Silbe verloren ging. »Hermann war kein Verräter, nur
manchmal ein schwacher Mensch. Wie wir alle. Und er hatte eine große
Leidenschaft: den ›Eifelwind‹. Mit Leib und Seele hing er an diesem
Campingplatz, das weißt du, Junge.
Als du
im Herbst 87 völlig fertig zu uns kamst und uns die Geschichte mit dem Bankraub
gebeichtet hast, zitternd wie Espenlaub, war Hermann der erste, der bereit war,
dich zu decken, notfalls mit einer Falschaussage. Erinnerst du dich? Ich war skeptischer.
Ich wollte, dass du dafür einstehst, was du ausgefressen hattest. Aber egal.
Wir gewährten dir Unterschlupf und deckten dich. Und Hermann und du, ihr habt
überlegt, was mit der Beute geschehen sollte. Haltet mich da raus, hab ich
gesagt. Wenn es nach mir ginge, wäre das Zeug sofort bei der Polizei. Dann hab
ich euch machen lassen.« Gerti schnaufte schwer und schaute sich suchend in der
Küche um.
»Ich
bruch ming Kippe«, murmelte sie. »Wo sin sei bloß?«
Jule
entdeckte schließlich auf dem Kühlschrank – zwischen alten Rechnungen und einem Stapel ›Eifelwind‹-Postkarten – Zigarettenschachtel, Feuerzeug und einen schweren Glasaschenbecher. Sie reichte
alles der alten Frau. Die begann sofort, hektisch zu paffen.
»Viel
später, ach, Jahre waren das, erzählte mir der Hermann von dem Versteck unter
dem Weinstock und von dem Gedicht. Er war ja so stolz auf seine Dichtkunst.
Nach all der Zeit wusste er es noch auswendig. Er erklärte mir auch, dass du
kein Interesse mehr an der Beute hättest, dass es aber für Stefan Winter
verwahrt werden solle. Er bezahle schließlich dafür mit einer lebenslangen
Freiheitsstrafe. So weit, so gut.« Sie seufzte und zog gierig an ihrer
Zigarette, bevor sie mit belegter Stimme weiter sprach. »92 kamen wir mit dem
›Eifelwind‹ in die erste ernste Krise: Die Gäste blieben aus, und wir hatten
mehrere Rohrbrüche in den Sanitärs. Außerdem war die Erweiterung des
Mobilheimareals weit teurer geworden als geplant. Da nahm Hermann zum ersten
Mal Geld aus dem Versteck. ›Den Stefan stört’s nicht‹, sagte er, ›der sitzt
noch ewig ein‹.
Im
Frühjahr ’97 hatten wir dann diesen Schwelbrand in der Restaurantküche. Wir
mussten komplett renovieren. Wieder grub Hermann am Weinstock. So ging es
weiter. Meistens hab ich es gar nicht gewusst oder erst viel später erfahren,
wenn urplötzlich eine hohe Rechnung – schwuppdiwupp – beglichen worden war.« Jetzt richtete sie sich ausschließlich an
ihren Neffen und funkelte ihn vorwurfsvoll an. »Dieser Haufen Geld direkt vor
unserer Nase, den keiner sonst brauchte, war eine Versuchung für Hermann.«
»Ach
ja, und damit ist alles entschuldigt?« Micha raufte sich die Haare, stützte die
Ellbogen auf die Tischplatte und vergrub das Gesicht in den Händen. »Mensch,
Gerti, ich weiß doch, dass ich die Scheiße gebaut habe, aber … Stefan,
der … «
»… war
ein Bankräuber und Mörder. Du schuldetest ihm gar nichts. Der hatte selbst zu
verantworten, was er verbrochen hat.« Gertis sonst so rauchig warme Stimme
hatte einen stahlharten Beiklang bekommen. »Ich sag ja nicht, dass es recht
war, was Hermann getan hat, sicher nicht. Aber … er
konnte eben nicht anders. Der ›Eifelwind‹ verschlang Unsummen. Irgendwann, das
war kurz bevor du 2009 aus dem Gefängnis entlassen wurdest, war gar nichts mehr
da. Alles hatte Hermann peu a peu in
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