Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
Vom Netzwerk:
Leiche des alten Mannes auf die Knie gegangen.
    »Man
hat ihn gefoltert«, sagte er tonlos.
    Und
jetzt sah sie es selbst. Da, wo das karierte Hemd über der Brust offen stand,
waren kleine, runde Brandwunden zu sehen. Auf dem Boden stand ein voller Aschenbecher.
    »Das
ist von brennenden Zigaretten«, flüsterte Micha. »Und schau hier.« Mit bebendem
Zeigefinger deutete er auf einige blutige Linien an der Kehle seines
Großonkels. »Da ist er geschnitten worden.« Er weinte jetzt. »Und alles bloß
wegen der Scheißklunker. Ich bin schuld, nur ich.« Er stand auf und wandte sich
ab.
    »Nein.«
Vorsichtig berührte sie seinen Rücken. »Sag so was nicht. Schuld sind die, die
ihn zu Tode gequält haben.«
    »Das
ist zu einfach. Und du weißt es.« Der Selbsthass in seiner Stimme war dermaßen
absolut, dass auch ihr die Tränen kamen.
    In dem
Moment hörten sie es. Das schabende Geräusch von vorhin. Nur lauter. Dann ein
Poltern.
    »Gerti!«,
stieß Micha aus. »Das muss Gerti sein!«
    Die
Vorratskammer lag in einem kleinen Flur zwischen Wohnzimmer und Küche. Von dort
war der Lärm gekommen. Der Schlüssel steckte. Jule drehte ihn im Schloss und
riss die Tür auf. Micha war gerade schnell genug, um vorzuspringen und seine
Tante aufzufangen. Schwer fiel sie ihm entgegen, die Augen über dem silbernen Panzerband,
das ihre Lippen verklebte, angstvoll aufgerissen. Ihr molliger Körper war
zusammengeschnürt wie ein Paket. Behutsam ließ Micha die alte Frau auf den
Boden gleiten. Während Jule das Klebeband von ihrem Gesicht abpulte, lief er in
die Küche und kam bald mit einer Haushaltsschere zurück.
    »Jott
sei Dank, ihr sit et!«, japste die alte Frau, sobald ihr Mund frei war. »Wat is
möt demm Hermann?«
    Jule
blickte feige zur Seite.
    »Er ist
tot«, sagte Micha, und die Endgültigkeit der drei Worte schwebte wie ein
schwarzes Loch im Raum. »Gerti, es tut mir so leid.«
    »Sei
hann en umjebrat!«, weinte Gerti. Zwei einzelne Tränen quollen aus den
Augenwinkeln und nahmen Schlieren dunklen Kajals mit. »Dobei hät der denne doch
alles jejeve.«
    Micha
schnitt nun alle Stricke von ihren Händen und Füßen. Dann setzte er sich auf
den Fußboden und nahm seine Tante in die Arme. Sanft strich er ihr über
Schultern und Rücken.
    »Ich
will em anlure.« Etwas von der alten burschikosen Art Gertis gewann die
Oberhand über den Schock. Sie setzte sich auf.
    »Nein!«
Das kam von Jule. »Nicht so. Bitte, Gerti.«
    »Ich
will ihn sehen!«, beharrte sie jetzt in klarem Hochdeutsch.
    Jule
suchte hilflos Michas Blick.
    »Lass
sie!«, bestimmte er. »Es muss sein.«
    Und so
geleiteten sie Gerti ins Wohnzimmer. Beide hielten sie fest, als sie sich auf
den Leichnam ihres Mannes stürzen wollte und fast zusammenbrach.
    »Das
ist ein Tatort. Wir dürfen nichts anfassen«, beschwor Jule sie. »Sonst
vernichten wir wichtige Spuren.«
    »Wer
wore die?« wimmerte Gerti jetzt. »Die drei maskierte Männ? Wer wore die, un
woher wusste die von denne Stein?«
    Jule
wurde schwarz vor Augen. Drei. Die Skatrunde. Die Rechtsverdreher. Jörg.
    Micha
sah sie besorgt an, dann dirigierte er beide Frauen in die Küche. Gerti setzte
sich schwerfällig auf einen der beiden Küchenstühle. Ihre Hände bebten. Sie
atmete stoßweise.
    »Ich
werde jetzt die Bullen anrufen«, erklärte Micha.
    »Nee.«
Gerti blickte zu ihrem Großneffen auf. »Nit, bevür ich dir alles verzallt han,
Jung. Setz dich.« Ihre raue Stimme hatte an Festigkeit gewonnen. »Hermann wor
et. Hermann hät Stefan erschlare.«
    »Ich
weiß«, murmelte Micha, nahm Gertis faltige, mit Altersflecken übersäte Hand und
streichelte sie. »Ich weiß.«
    Jetzt
mischte Jule sich ein. »Als ich Stefans Leiche Sonntagnacht am Angelsee fand,
spürte ich sofort, dass etwas nicht stimmte«, sagte sie leise. »Lange fiel mir
nicht ein, was es war. Bis ich endlich darauf kam: Stefan hatte sich von Micha
Mütze, Schal und Handschuhe ausgeliehen, als er am Sonntagnachmittag bei ihm im
Mobilheim war. Aber die Leiche hatte nackte Hände und bloßes Haar. Einen Schal
trug Stefan auch nicht. Bei dem schlimmen Sturm, der tobte, fand ich das
seltsam. Es musste also jemand dem Toten die Sachen ausgezogen haben. Aber wer?
Und warum?« Sie atmete durch, sah Gerti tief in die Augen und fuhr fort: »Es
konnte nur jemand sein, der die Kleidungsstücke als Michas erkannt hatte und
verhindern wollte, dass irgendjemand einen Zusammenhang zwischen den beiden
Männern herstellt. Und womöglich Micha für den

Weitere Kostenlose Bücher