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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Was glaubst du?«
    Micha
ging auf ihn zu, griff an ihm vorbei und startete den Rechner neu. Er öffnete
die Porno-Website von vorhin und drehte den Lautstärkeregler an den
Computerboxen bis zum Anschlag auf. Geiferndes Gekeuche und Gestöhne hallte
durch das Arbeitszimmer. Dann stellte er sich ganz dicht vor Becker, presste
ihm die Walther fest in die Genitalien und drückte ab.
     
    Jule atmete erst auf, als sie
am Waldrand standen. Ein bronzener Vollmond lugte hinter den Wäldern hervor.
Der wolkenlose, nachtblaue Himmel war mit Sternen gesprenkelt.
    »Was
hast du dir dabei gedacht?«, herrschte sie Micha an, der neben sie getreten
war.
    »Was
denn? Den Wichser am Leben zu lassen?«, fragte er, und in seinen Augen
spiegelte sich das Funkeln der Himmelskörper.
    »Nein!
Mich so zu erschrecken! Du hättest mir doch sagen können, dass deine Pistole
nicht geladen ist!«, rief sie vorwurfsvoll.
    Micha
grinste nur. »Dann hätte er mir die Show nicht abgenommen. Du hast ein zu
ehrliches Gesicht. Komm, wir müssen weiter!« Er nahm ihre Hand und zog sie mit
sich.
    »Moment.«
Jule drückte die Hacken in die Erde. »Was ist mit Melanie? Müssen wir ihr nicht
wenigstens Bescheid sagen?«
    »Später!
Wir haben keine Zeit!«, drängte er.
    »Blödsinn!
Ich ruf sie schnell per Handy an und sag ihr, wohin wir gehen.«
    Micha
gab sich geschlagen.
    »Okay,
aber quatsch nicht zu lange.«
     
    Bald gingen sie Hand in Hand
über den Waldweg am Steinbach entlang Richtung ›Eifelwind‹. Die Nacht war kalt
und klamm. Feuchtigkeit kroch durch ihre Kleidung in die Haut. Irgendwo schrie
ein Käuzchen. Das Wasser neben ihnen schlängelte sich silbern über bemooste
Steine. Bald gewöhnten Jules Augen sich an die Dunkelheit. Sie erkannte die
Umrisse knotiger Baumwurzeln und die nackten Arme der Laubbäume zwischen
gefiederten Fichten. Ruhe kam über sie. Sie begriff, dass dies Glück sein
musste: Stille, allein durchbrochen von den Schreien eines Käuzchens und ihrer
beider Atem; seine warme, feste Hand in der ihren.
    »Micha?«
    »Ja?«
    »Lass
uns umkehren und einfach wegfahren.«
    Sofort
blieb er stehen. Ganz nah kam sein schattenhaftes Gesicht.
    »Was
ist los, Jule?« Es klang verwundert. »Ich dachte, wir waren uns einig.«
    »Schon,
aber … « Sie suchte nach Worten. »Wozu willst du deinen Verdacht
bestätigt haben? Das macht alles kaputt, an was du geglaubt hast … Lass
die Geschichte ruhen. Wir … wir bauen uns irgendwo im Ausland eine neue Existenz auf und
vergessen die Vergangenheit«, drängte sie. »Bitte.«
    »Nein.«
Seine Antwort war klar wie der nächtliche Himmel. Dann hielt er sie auf
Armeslänge von sich entfernt und sagte sachlich: »Es geht nicht. Die
Vergangenheit würde uns einholen, so oder so. Und es gibt ohnehin nicht mehr
viel, an was ich glaube außer an … die
Ordnung hinter den Dingen. Das Muster, das alles erklärt und dem Ganzen einen
Sinn gibt.«
    Die
Ordnung. Jule seufzte. Gegen dieses Argument war sie machtlos. »Okay, bringen
wir es hinter uns«, flüsterte sie ergeben.
     
    Die Kneipe ›Zum Eifelwind‹
leuchtete und lärmte ihnen gastlich entgegen.
    »Samstagabend«,
knurrte Micha. »Da steht Hermann entweder hinter der Theke und zapft oder er
überwacht, was der Hilfskoch tut. Geh du rein und hol ihn raus. Mich darf hier
keiner mehr zu Gesicht kriegen.«
    Jule
nickte und machte sich auf den Weg. Tief atmete sie durch, bevor sie die
schwere Eingangstür mit den Butzenscheiben aufstieß. Drinnen war es brechend
voll. Alle Tische waren besetzt, und am Tresen drängten sich die Leute. Im
Stimmengewirr hingen die Fetzen von Heinos Schlagerklassiker ›Schwarzbraun ist
die Haselnuss‹. Klar, in der Nachbarschaft von Bad Münstereifel, wo der Sänger
viele Jahre ein Café betrieben hatte, durften seine Lieder in keiner Kneipe
fehlen. Jule kämpfte sich bis zur Zapfanlage vor. Zu ihrem Erstaunen stand
dahinter nicht Hermann, sondern der Knollennasige, den sie vor knapp einer
Woche in der Bäckerei ›Esser‹ getroffen hatte. Eddie, erinnerte sie sich.
Routiniert zapfte er ein Pils nach dem anderen.
    »Schön
hörch, Fräulein«, mahnte er, offensichtlich, ohne sie zu erkennen. »Immer de
Rieh no.«
    »Wo ist
Hermann?« Sie merkte selbst, wie schrill ihre Stimme klang.
    Eddie
hielt verblüfft inne, die Hand am Zapfhahn. »Na wo wohl? Zo Huß bei Jerti!« Und
fügte erklärend hinzu: »Seit der krank is, schaff der dat he net mi su lang.«
    Da nahm
sie Reißaus. An Hermanns Prostatakrebs hatte sie

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