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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Euro getauscht und in den Campingplatz
gesteckt. In dem Versteck befanden sich nur noch die Edelsteine. Und da fragte
er mich um Rat. ›Wenn der Micha jetzt rauskommt und sich etwas von dem Geld
nehmen will, dann liegen da bloß die Klunker des Emirs, Gerti‹, sagte er. ›Stell
dir vor, er versucht womöglich, die zu Geld zu machen. Wir wissen ja nicht, was
der Knast aus unserem Jungen gemacht hat, vielleicht ist er drogensüchtig oder
ausgeflippt oder so … Dann fliegt alles auf, und die sperren ihn sofort wieder ein.
Diese Steine sind überall registriert, Gerti. Die lassen sich nicht so mir
nichts, dir nichts zu Barem machen.‹ Ich hab ihm gesagt, er soll sie aus dem
Versteck holen und in unseren Haussafe packen. Und das hat er auch gemacht.«
    Gerti
drückte energisch ihre Kippe im Aschenbecher aus und zündete sich sofort eine
neue an.
    »Es war
nur zu deinem Besten, mein Junge. An den Stefan haben wir gar nicht mehr
gedacht. Den lassen sie sowieso nie mehr raus, haben wir gemeint.
Sicherungsverwahrung, die dauert doch bis zum St. Nimmerleinstag.«
    Micha
stöhnte auf. Jule sah, dass seine Augen gerötet waren. »Ihr habt euch das alles
ganz schön zurecht gebogen, was? Schöne Scheiße, dass Stefan ausbrach, was?«
    »Sonntagabend
um neun stand er hier vor der Tür. Hager, blass, verdreckt, ein Schatten seiner
selbst«, raunte Gerti heiser. »Deine Mütze hatte er auf, die graue mit den
beigen Streifen. Und die passenden Handschuhe und den Schal an. Er hat Hermann
auf den Kopf zugesagt, die Beute genommen zu haben. Er war total fertig und
völlig außer sich. Wir haben versucht, ihn dazu zu bewegen, sich zu stellen.
Nichts zu machen. Er hatte Todesangst vor der Einzelhaft, die ihn für viele
Jahre erwartete. Das kenne er, sagte er. Es mache ihn hohl und leer. Da
verrecke er lieber.
    Er tat
mir so leid. Gleichzeitig war mir klar, dass der Druck, unter dem er stand, ihn
zu einer tickenden Zeitbombe machte. Kurz vor dem Explodieren war er, der arme
Junge. Er hätte uns umgebracht, wenn er die Wahrheit erfahren hätte.
    Hermann
hat ihn hingehalten. Er habe das Zeug an einen anderen, sichereren Ort
gebracht, sagte er Stefan, ans Ufer des Angelsees, in den Zulauf vom Steinbach.
Es sei alles noch da. Er wolle ihn gern hinführen.
    So
machten sie es. Hermann kam allein zurück, mit deinen Wollklamotten in den
Händen. Er weinte. ›Es ging ganz schnell‹, sagte er wieder und wieder. ›Er hat
nicht gelitten.‹«
    Jule
hielt es nicht mehr aus. Jetzt konnte auch sie die Tränen nicht mehr
zurückhalten.
    »Und du
hast gebilligt, was Hermann vorhatte?«, fragte sie entsetzt.
    Gerti
nickte langsam. »Ja«, bekannte sie. »Obwohl wir uns nur mit den Augen
verständigt haben. Ich war einverstanden. Ich sah keinen anderen Ausweg. Ich
bin genauso schuldig wie Hermann.«
    »Wie
konnte ein alter, kranker Mann es schaffen, einen Kerl wie Stefan zu erschlagen?«,
wollte Micha wissen. Sein Gesicht war nur mehr eine versteinerte Maske, die
Augen hart und kalt.
    Gerti
wand sich wie unter Schmerzen. »Junge, lass es gut sein. Du weißt doch fast
alles.«
    »Nein!«
brüllte der plötzlich und ließ seine Faust auf den Tisch krachen. Die beiden
Frauen zuckten zusammen. »Rück damit raus, sofort! Mit jedem dreckigen Detail!«
    Jules
Kehle schnürte sich zu. Micha war kurz vor dem Durchdrehen. Vor Trauer und vor
Qual. Er machte ihr Angst. Dennoch fasste sie sich ein Herz und ging zu ihm.
Sie stellte sich hinter ihn und legte ihre Hände sacht auf seine verhärtete
Nackenmuskulatur. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Nach einer Sekunde der
Abwehr ließ er die Schultern sinken und lehnte den Kopf nach hinten an Jules
Bauch. Sanft strichen ihre Hände über seine Arme.
    Gerti
beobachtete all das genau. Dann erst ergriff sie erneut das Wort. »Hermann
bückte sich bei dem Betonrohr, durch das das Bachwasser in den See geschleust
wird, und griff hinein. Er tat so, als käme er nicht an den Behälter mit der
Beute heran. Also versuchte es Stefan an seiner Stelle. Die Waffe legte er
neben sich in den Schnee. Es schneite zu der Zeit heftig und der Wind war
extrem. Alle Geräusche wurden verschluckt. Hermann trat ein Stück zurück und
griff nach einer Eisenstange, die dort lag. Die hatte ursprünglich das Schild
›Angeln nur für Campinggäste‹ gehalten. Aber das war total verrostet. Wir
hatten schon ein neues bestellt. Na ja, jedenfalls wusste Hermann deshalb ganz
genau, wo die Stange sich befand. Er brauchte nur drei Schläge …

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