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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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einen Hauch von Normalität zu geben. Ich war eine dieser grauen Durchschnittsexistenzen aus dem Frühstücksraum. Ich war Vertreter für eine holländische Firma, sagen wir, für... Ich überlegte, was charakteristische Waren unseres Landes sind, die auch die Leute hier interessieren würden. Zu meiner Schande fielen mir wieder nur Tulpenzwiebeln und Käse ein. Ich verschob die Warenfrage auf später, machte mich zunächst an die Verkleidung. Nach meiner Erfahrung gleicht sich die Mimikry aller Vertreter, egal, ob sie Bücher, Staubsauger, Religionen oder Schmierseife verkaufen.
    Ich ging in das Kaufhaus und erstand einen grauen Anzug mit erdbeerfarbenem Schlips, ein paar schwarze Lederschuhe mit Kunststoff-Profilsohle, dunkelblaue Nylonsocken, einen anthrazitfarbenen Mantel mit Fischgrätmuster, einen braunen Wollschal, ein hellblaues Hemd und einen schwarzen Skailederkoffer mit messingfarbenen Zahlenschlössern. Das Kaufhaus gehörte einer westdeutschen Kette, und es war verblüffend, wie sich das Konsumleben der Stadt auf diesen Ort konzentrierte.
    Vor dem Spiegel der Umkleidekabine kontrollierte ich mein Äußeres und kam zu dem Schluß, daß meine Verkleidung perfekt war. Dezent und vertrauenerweckend. Von der gleichen gediegenen Glaubwürdigkeit wie das Produkt, das ich anbot und über dessen Art ich mir noch nicht im klaren war. Denn nach Tulpenzwiebeln und Käse waren mir inzwischen nur Holzschuhe als typisch niederländisch eingefallen.
    Ich ging in ein Stehcafé und bestellte ein Glas Tee. Es war ein erster Test.
    Neben mir standen zwei Arbeiter, die offenbar zu dem Trupp gehörten, der das Pflaster des Marktplatzes bearbeitete. Sie starrten mich an, während ich scheinbar gleichmütig in der Provinzzeitung las. Als ich den Teebeutel aus dem Glas zog, sah ich an dem bedruckten Papierstückchen an seinem Ende, daß es eine holländische Marke war. Ein winziges, tröstliches Stück Heimat, das ich liebevoll betrachtete, ehe ich es in den Aschenbecher fallen ließ. Das war es: ich würde als Vertreter für holländischen Tee auftreten.
    Ich schlenderte incognito durch die Stadt. Überall wurde Schnee geschippt und Asche gestreut. Ordnungsliebe inmitten all des Gedrückten. An einem Imbißstand aß ich eine Bratwurst. Ich glaubte, so etwas wie hoffnungslosen Optimismus auszustrahlen und damit zum genuinen Bestandteil der lokalen Atmosphäre geworden zu sein. Meine Maske war jedoch keinesfalls so perfekt, wie ich annahm. Ich hatte den Fehler begangen, die warme Mütze aus grober Schurwolle zu tragen, die mir meine liebe Mama als Schutz gegen die sibirische Kälte des Ostens gestrickt und als Weihnachtsgeschenk zu der »Winterreise« gelegt hatte. Niemand trug hier Wollmützen. Und so war ich schon von weitem als verdächtiges Individuum auszumachen.
    Im Hof des Unteren Schlosses vor dem Eingang zum örtlichen Museum wurde ich von einem Mann angesprochen, wegen meiner Mütze, wie er mir später gestand. Er sah abgerissen aus in seinem schmuddeligen, militärgrünen Parka, seiner schwarzen Russenmütze. Ein Schneidezahn fehlte ihm. Seine trüben, kleinen Augen, die faltige Gesichtshaut ließen ihn alt aussehen. Ich schätzte ihn auf weit über Sechzig. In Wirklichkeit war er Mitte Fünfzig.
    »Ich möchte mit Ihnen sprechen«, sagte er unvermittelt. »Können wir uns nachher irgendwo treffen? Jetzt habe ich noch zu tun.«
    »Selbstverständlich«, sagte ich in angenehmstem Vertreterton. »Jederzeit. Ich wohne im Hotel zur Grafenschenke.«
    »Ich hole Sie um dreizehn Uhr ab«, sagte er militärisch knapp und verschwand in einem Seitenflügel der Anlage.
    Ich schlurfte in großen Besucherfilzpantoffeln durch triste Räume, die die Sammlung des Heimatmuseums beherbergten. Mittelmäßige Porträts, einige lieblos angeordnete Möbel, Barock und Biedermeier, Tafelsilber, Meißener Porzellan, ein Sammelsurium, das sich hier wie Strandgut der Zeit angesammelt hatte. Als ich später in einigen Wohnungen gewesen war, verstand ich, warum mein Eindruck so unbefriedigend gewesen war. Es gab kaum ein Zeitgefälle zwischen heute und damals. Die privaten Wohnungen glichen Ensembles, wie sie auch mittellose Museumsdirektoren für ihre Besucher dekorieren lassen.
    Ich ging zum Marktplatz zurück und am Buchladen vorbei. Die Tür stand offen. Weiße Frauenarme hantierten hinter der Schaufensterscheibe. Wie zwei Schlangen schlüpften sie an einer Holzverkleidung herab und dekorierten Bücher. Ich trat dicht an die Scheibe und

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