Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
klopfte dagegen. Sie sah auf und bemerkte mich. Dann behauchte ich die Scheibe und malte ein Herz darauf mit einem Pfeil, von dessen Spitze sich eine einsame Regentropfenträne löste und, eine klare Spur hinterlassend, herabrann. Sie lachte und winkte hinter dem Glas.
Ich ging hinein. Die Türschelle kam mir vor wie der Auftakt zu einer romantischen Sinfonie.
Ines stand auf einem Hocker und brach in schallendes Gelächter aus. »Wie siehst du denn aus?! Wie eine blasierte Vogelscheuche!«
»Ich hab mir die Sachen gekauft, um nicht aufzufallen. Ich wollte wie ein Vertreter aussehen.«
»Unsere Vertreter, lieber Piet, tragen teure Lederjacken oder echte Kaschmirmäntel. Mit dem, was du anhast, wird dich jeder hier für einen verarmten Adligen halten, der hinter seinem enteigneten Grundbesitz her ist. Das wird dich nicht gerade beliebt machen.«
Ines stieg vom Hocker und öffnete meinen Mantel. Kichernd zerrte sie an meinem Schlips. »Wie geht es, Ines?« sagte ich. Ich spürte, wie mein Blut in Wallungen geriet.
»Nicht schlecht für unsere Verhältnisse. Es waren schon acht Kunden da heute morgen.«
»Ich denke, ihr habt wegen Krankheit geschlossen!«
»Ach, das war nur der dumme Dick. Er hat wieder seine wehleidige Tour.«
»Komm, Ines«, sagte ich. »Rück endlich raus mit der Sprache. Laß die Katze aus dem Sack. Was war das gestern hier im Laden? War es dein eifersüchtiger Freund?«
Mein Drängeln war gegen alle von mir sonst so gut beherrschten Regeln eines Verhörs.
Und wirklich, ihr Gesicht nahm den bekannten »Nun gerade nicht«-Ausdruck an, wie ihn ausgefragte Kinder haben. »Du meinst die Sache mit dem Tränengas?«
»Natürlich. Du warst hinterher verschwunden.«
»Ist das ein Wunder bei der Luft?«
Sie legte die Arme um meine Schultern, beugte meinen Kopf herab und gab mir einen sanften Kuß auf die Stirn.
»Dick ist so schrecklich eifersüchtig«, sagte sie. »Deshalb will er auch, daß du gehst.«
»Es war also Dick?«
»Nein, er war es nicht. Es gibt noch andere.« Sie lächelte vielsagend. Ich machte wohl ein ziemlich dämliches Gesicht. Sie lachte: »Du bist auch eifersüchtig, mein Lieber. Komm, wir gehen spazieren.«
Sie schloß den Laden ab und hakte mich unter.
Wir gingen in den Park. Hier lag der Schnee noch tief in einer geschlossenen Decke. Auch der See war zugeschneit, keine Spuren mehr von dem brutalen Geschehen in seiner Mitte.
Ines trug ihren räudigen Kaninchenfellmantel, und sie hatte richtige, gefütterte Winterstiefel an. Sie roch auch nicht nach Broiler, sondern nach Kernseife und dem muffigen Tiergeruch ihres Mantels. Ich wartete die ganze Zeit darauf, daß etwas passierte. Aber nichts geschah. Unsere Schritte hatten sich einander angepaßt. Wir gingen wie ein altes, in gemeinsamer Bewegung geübtes Paar. Ines summte ein Lied. War es nicht das Lied meiner Mutter? »Machen wir’s den Schwalben nach...«
Unmerklich lenkte Ines unsere Schritte. Wir liefen in einem großen Bogen über den gefrorenen See auf das Schwanenhaus zu.
Mit seinen Zinnen und Türmchen sah es größer aus, als es in Wirklichkeit war. Es hatte ungefähr die Ausmaße einer Gartenhütte. Die Tür ließ sich öffnen. Dann waren wir in einem mannshohen Raum. Durch viele Miniaturfenster fiel fahles Schneelicht herein. Der Boden war mit Vogelmist bedeckt. Es roch durchdringend nach Guano.
Ines war wie verwandelt. Sie preßte sich an mich und schob ihre Arme unter meinen Mantel. Sie zitterte, nicht vor Kälte, wie mir schien. Ich sah die roten Flecken auf ihren Wangen, als sie den Kopf hob. »Komm, küß mich«, flüsterte sie. Ihre alte Souveränität war dahin. Es war deutlich, daß sie Angst hatte.
Wir küßten uns heftig. Es lag etwas Gewaltsames, Kannibalisches darin. Ines wand sich aus ihrem Mantel, ohne die Lippen von meinen zu nehmen, und ließ ihn hinter sich zu Boden fallen. Dann zog sie mich herunter. Es war kein bequemes Bett. Die Luft war beißend, salpetergeschwängert, es war kalt, der Boden hart trotz der Schicht Vogelkot. Dennoch liebten wir uns. Irgendwie schaffte Ines es, daß mein Raglan über uns blieb, daß mein Schlips neben uns lag wie die leere Haut einer geschlüpften Schlange. Ich glaube, wir erkannten uns damals, wie es in der Bibel so schön heißt, wir wußten in jenem Moment aufgeregter Sexualität mehr voneinander, als es lange und ruhige Gespräche hätten herausbringen können. Wir waren uns Spiegel, parallel gegeneinander aufgestellt und dadurch unendlich
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