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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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den Kopf legen kann, ohne daß es herunterfällt. Komm, hol mal ein Hühnerei aus deinem Kühlschrank!«
    Der Barkeeper verschwand und kam mit einem Ei zurück. Schläfti legte es auf seinen von langen, strähnigen, schwarzen Haaren bedeckten Schädel, und dort blieb es tatsächlich liegen. Er grinste stolz und sagte mit vorsichtigen Lippenbewegungen: »Ich habe da nämlich eine weiche Stelle. Da gibt es keinen Knochen drunter. Da kann man reindrücken. Wenn ich beim Kämmen nicht aufpasse, bin ich hin, sag ich dir.«
    Er gab das Ei zurück. Ich hatte inzwischen zwei neue Pils bestellt. Schläfti gefiel mir von Minute zu Minute besser. Er steckte sich eine Zigarette an. Dabei arbeitete er mit seinen Händen wie ein Jongleur. Beide gehorchten keinen Nervenbefehlen, hingen einfach so herab. Er mußte die Trägheit nutzen, um sie zu bewegen. So schnickte er den Arm hoch, die Hand mit der Zigarette stellte sich, er schnappte zu mit dem Mund und hielt die Hand an der brennenden Zigarette fest. Er war unglaublich geschickt mit diesen beiden Handlappen. Auch wenn er ein Glas zum Mund führte.
    »Ich bin Vollinvalide«, sagte er stolz. »Ich lebe in den Tag hinein. Niemand hier sonst versteht es, in den Tag hinein zu leben. Auch all die Arbeitslosen nicht. Sie strengen sich ungeheuer an, nichts zu tun. Ich nicht. Mir fällt es so zu.«
    Er redete fast ununterbrochen. »Ich hatte vor drei Jahren einen Motorradunfall. Bin besoffen gegen eine Wand gefahren, und die Wand war so stur, nicht nachzugeben. Eine Woche im Koma, sag ich dir, das war es, was ich brauchte, um wirklich Abstand zu gewinnen von der ganzen Scheiße in diesem Land. Das war damals meine Mauer. Ich habe sie überwunden. Für mich kam die Wende schon ein Jahr früher. Deshalb bin ich hier allen voraus.«
    »Kennst du den Maler Heinz Derbacher?«
    »Natürlich kenn ich den. Ich bin auf dem Schloß groß geworden. Ich kenn jedes Zimmer, jeden Stein, jeden Geheimgang dort oben. Willst du mal mit mir aufs Schloß?«
    »Ich war vergangene Nacht dort oben, bei Derbacher. Jetzt ist er tot.«
    »Das weiß ich. Es war zu erwarten, daß man ihn umlegt. Und dein Freund, der Holländer, ist auch dran. Und wenn du noch lange hier bist und dich als Journalist von einer Wessizeitung ausgibst, garantiere ich auch bei dir für nichts.«
    »Ist denn das wirklich so brutal hier?«
    »Überhaupt nicht. Hast du nicht gemerkt, wie freundlich die Leute hier sind?«
    »Doch, das habe ich.«
    »Es ist alles Theater. Glaub mir. Da ist nichts echt. Hier ist überhaupt nichts echt. Du kommst in einem miesen Stück zur Welt, krabbelst aus dem Souffleurkasten, sagst deinen Text auf, natürlich im falschen Moment, und verschwindest in der Versenkung. Das Stück heißt übrigens ›Man lebt nur einmal‹. Es ist zum Totlachen. Eine echte Klamotte.«
    Schläfti schnaubte verächtlich und schnickte sich noch eine Zigarette.
    »Morgen kriegst du eine Schloßführung der Sonderklasse«, fuhr er fort. »Wo kann ich dich finden?«
    »Im Hotel zur Grafenschenke.«
    »Dann hole ich dich dort um elf Uhr ab.«
    Er reichte mir seine schlaffe Hand. Ich zahlte die Runde und ging. Es war kurz nach Mitternacht. Der Tag vor Weihnachten war erst wenige Minuten alt.

Sechstes Kapitel
    I ch klingelte und wurde eingelassen. Die Vertreterrunde saß am Stammtisch und zechte. Es wurden Lieder gegrölt. Schlieren von blauem Zigarrenrauch schwebten über den Männern. Ihre Gesichter glichen lackierten Masken. Ein Gefühl kam in mir auf, zufällig ins Wohnzimmer aller Wohnzimmer geraten zu sein, in dem das Unheil dieser Welt eine Orgie der Gemütlichkeit feierte.
    Ich machte, daß ich nach oben kam, ging den langen Flur in meinen Schatten hinein, den ich vor der Neonröhre warf. Mein Zimmer lag ganz am Ende. Ich schloß auf und begann, mich im Dunkeln auszuziehen. Ich mußte wohl ziemlich viel getrunken haben, denn ich bewegte mich dabei so ungeschickt, daß ein Glas vom Waschbeckenregal herabfiel und zersplitterte.
    Erst als ich die Bettdecke zurückschlug, nahm ich den Menschen wahr, der dort lag. Ich roch seinen Körper, diesen Duft nach Lavendelseife, Hautcreme, Broiler und Schnaps.
    Ich lauschte den Atemzügen der Frau und wartete, bis sich meine Augen so an die Dunkelheit gewöhnt hatten, daß ich ihren Leib wahrnahm wie die undeutliche Schwärzung eines Negativs.
    Ines schlief tief und fest. Ihr Mund stand offen. Ihre Zähne schimmerten schwach im matten Licht, das von einer Straßenlaterne draußen durch die

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