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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Los, verschwindet!« schrie ich. Ich war außer mir. Es gelang mir tatsächlich, die Menge zu zerstreuen. Nur zwei Frauen mit großen Einkaufstaschen blieben stehen.
    »Wir haben was gesehen«, sagte die eine. »Es waren vier.« »Ich glaube, es waren nur drei«, sagte die andere. »Ein Blonder war dabei. Er war nicht von hier, das könnte ich schwören.«
    Ich kniete wieder neben dem Toten und tupfte ihm das Blut vom Mundwinkel. Dann hörte ich eine barsche Stimme. »Stehen Sie auf und kommen Sie mit.« Ich hörte auch das Blaulicht eines Unfallwagens.
    Der Mann, der mich angesprochen hatte, war in Zivil. Ich folgte ihm. Auch die beiden Frauen kamen mit. Wir mußten in einen Polizeibus einsteigen. Dann saß ich auf der Wache. Das Verhör war kurz. Die ganze Zeit sah ich auf den hellen, rechteckigen Fleck an der Wand, wo vermutlich einmal das Bild Erich Honeckers gehangen hatte. Man hatte noch keinen Ersatz gefunden.
    Ich gab zu Protokoll, daß ich Holländer sei und meinen Landsmann besucht hätte. Ganz privat. Die Abneigung des Kripobeamten war nicht zu übersehen. Daß ich den Toten kannte, verschwieg ich. Ebenso meine derzeitige Anstellung. Ich nannte nur wahrheitsgemäß als Beruf Psychologe. Dafür versuchte ich um so genauer den Tathergang zu beschreiben, die Täter, ihre Kleidung, den blauen Lieferwagen, die Richtungen, in die die Mörder gerannt waren.
    Ich hatte den Eindruck, daß er mir nicht zuhörte. Eine andere Person im Raum schrieb mit. Er hackte auf eine uralte Schreibmaschine ein. Manchmal mußte ich eine Formulierung wiederholen, weil ein Buchstabe klemmte. Ich glaube, es war das »ö«, denn immer wenn ich von den Mördern sprach, fluchte der Mann und zerrte an einer Taste.
    Ich vermochte die Situation so genau zu beschreiben, weil ich alles durch den Sucher gesehen hatte. Der Gesichtsausdruck beider Beamten sagte jedoch deutlich, daß sie mir kein Wort glaubten.
    »Halten Sie sich noch länger hier auf?« fragte der Verhörende schließlich, als sei dies ein Vergehen.
    »Ja«, sagte ich. »Noch mindestens drei bis vier Tage. Ich wohne im Hotel zur Grafenschenke.«
    »Dann halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Geben Sie Ihren Ausweis ab.«
    Sein Blick ruhte begehrlich auf meiner Kamera. Ich wußte, daß er sie in alten DDR-Zeiten sofort requiriert hätte.
    »Fotografieren ist mein Hobby«, sagte ich. »Aber jetzt ist mir der Spaß gründlich verdorben.«
    »Haben Sie den Unfallhergang fotografiert?«
    »Es war kein Unfall. Natürlich habe ich nicht fotografiert in so einer grauenhaften Situation.«
    Ich war entlassen. Auf dem Weg zum Hotel querte ich den Platz. Er war leer. Über die Stelle, wo Heinz gelegen hatte, war schmutziger Schnee geschaufelt worden.
    Als ich in meinem Zimmer war, hatte ich einen Anfall von Schüttelfrost. Ich saß auf der Bettkante und klapperte mit den Zähnen. Ich legte mich aufs Bett und schloß die Augen. Da war wieder dieses Lied. »Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern dreht er, was er kann.« Ich sah Derbachers Kopf vor mir, sein Selbstporträt, ein Totenschädel, aus dessen Mund eine Straße quillt. Ich zweifelte nicht, daß er mir etwas Wichtiges hatte sagen wollen. Eine für ihn lebensgefährliche Information. Vielleicht auch lebensgefährlich für mich?
    Als ich mich einigermaßen gefangen hatte, drehte ich den Film in der Kamera zurück und verstaute ihn in einem gefütterten Kuvert. Dazu legte ich einen Zettel: »Bitte entwickeln und Abzüge machen. Wichtige Beweisstücke in einem Mordfall.«
    Ich ging zur Post und schickte den Brief an meine Dienststelle.
    Auf den Straßen raste der Verkehr durch die abgasgeschwängerte Stadt. Das Schloß lag bleiern wie eine Krake über allem. Ich ging zurück ins Hotel. An der Rezeption gab man mir ein Kuvert, das meinen Namen in großen Druckbuchstaben trug. »Das wurde für Sie abgegeben«, hieß es.
    »Von wem?«
    »Keine Ahnung. Es war bei der Post.«
    Im Zimmer angelangt, riß ich den Umschlag auf. Eine Postkarte kam zum Vorschein. Eine unscharfe Schwarzweißfotografie. Männer in Uniform, in ehrerbietiger Haltung, die Hände vor dem Hosenschlitz gekreuzt, ohne Kopfbedeckungen. Einer mit einer breiten Schärpe stützte sich auf einen Säbel. Die Gruppe stand in einem lichten Wald. Im Vordergrund konnte man sich eine Grube vorstellen, in die Sonnenstrahlen durch dünn belaubte Bäume fielen. Am auffälligsten waren zwei tief verschleierte Gestalten auf der linken Seite des Bildes.

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