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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Seniorencafé im Westen.
    Ich setzte mich an die Bar, bestellte, wie es die meisten hier offenbar taten, Whiskycola und versuchte, den Barkeeper in ein Gespräch zu ziehen. Er gab vor, von dem Mord noch überhaupt nichts gehört zu haben. »Wir haben kaum Kriminalität hier«, sagte er, »verglichen mit dem Westen.« Es lohne sich offenbar nicht, hier Wohnungen auszurauben. Die Drogenszene sei auch ziemlich unbedeutend.
    Ich fühlte mich genauso abgewiesen wie in den deftigen Kneipen zuvor, in denen einheimische Arbeiter und Handwerker verkehrten, und wollte schon gehen, als mich eine kleine Szene aufhielt, die das dezente Einerlei durchbrach. Jemand benahm sich laut, protestierte, daß der Kaffee lauwarm sei. Außerdem sah dieser Gast höchst ungewöhnlich aus. Bleistiftenge Jeans, Lederfransenjacke, Cowboystiefel und ein schwarzer Schlapphut. Und er war der erste Langhaarige, auf den ich in dieser Gegend traf. Mit seinem dichten, schwarzen Schnauzer sah er wie eine abgerissene Version von Frank Zappa aus. Der Wirt, der wie der Geschäftsführer eines Geldinstitutes gekleidet war, eilte zum Tisch und forderte den Randalierer zum sofortigen Verlassen des Lokals auf. Zappa machte ein paar Steppbewegungen, kippte den Rest Kaffee aus seiner Tasse in eine Vase mit Wachsblumen und verschwand.
    In meiner Heimatstadt Groningen hätte niemand diese Situation auch nur im mindesten bemerkenswert gefunden, hier aber hatte sie etwas Märchenhaftes. Ich zahlte und eilte hinaus. Zappa hatte sich in Luft aufgelöst. Unschlüssig, wo ich noch hingehen sollte, folgte ich dem schwarzen Rauschen des Flusses bis zum Ende der Stadt. Die Eiskanten an seinem Rand brachen stückweise weg in den Strömungswirbeln. Es taute. Um die seltenen Straßenlaternen hatten sich Dunstglocken gebildet.
    Ich setzte mich in den kalten, halbgefrorenen Schlamm der Uferböschung. Wirklich, da floß etwas, da verließ etwas diesen Ort, strömte davon in Richtung Meer. Ich nahm mir vor, zu Hause in einem Atlas nachzuprüfen, in welchen Fluß dieser Fluß floß und wo die Mündung war.
     
    Dann sah ich etwas herantreiben, etwas Helles, Weiches. Es drehte sich und bauschte sich ein wenig dabei. Haare fächerten auseinander im teerschwarzen Wasser. Ein weißes Kleid, blonde Haare. Eine Halluzination? Völlig hysterisch und dennoch zugleich ruhig nahm ich einen Stock und zog das Bündel heran. Es war tatsächlich ein weißes Kleid. Zweige und anderes Treibgut hatten es gefüllt und ihm Form verliehen.
    Es wurde Zeit, sich unter lebendige Menschen zu begeben. Es war mir jetzt egal, mit wem ich zusammen war. Nur ein wenig reden. Flußabwärts hatte ich vom Park aus ein erleuchtetes Bierschild gesehen, das ich hier nie erwartet hätte. »Heineken« stand darauf, der Name der holländischsten aller holländischen Biermarken. Es zog mich an wie der Honig den Bären.
    Es war ein Billardcafé, in dem tatsächlich holländisches Bier gezapft wurde. Wie gemacht für Dick als Stammlokal. Drinnen war Betrieb. Mehrere Tische wurden bespielt. Die Theke war winzig. Nur drei Barhocker, und auf einem von ihnen Zappa. Er schien bester Laune und trank ein Heineken nach dem anderen. Eines war mir klar: dies war ebenfalls kein Deutschling, was immer Dick mit diesem Begriff gemeint hatte.
    Er musterte mich von der Seite. »Was treibt dich hierher, Kumpel, in dieses gottverlassene Drecksnest?« sagte er schließlich.
    »Ich bin Journalist. Ich arbeite für eine deutsche Zeitung«, log ich.
    »Dann frag doch, verdammt«, sagte er, »quetsch mich aus wie’ne Zitrone. Wenn hier einer Bescheid weiß, dann bin ich es. Ich kann hier jeden roten Furz am Geruch unterscheiden, auch wenn er heute aus einem braunen Arschloch kommt.«
    Er bot mir die Hand. Sie hing vom Handgelenk abgeknickt und war vollkommen schlaff. »Ich heiße Schläfti. Das kommt von schläfriger Typ. Als ich noch in Discos ging, bin ich immer direkt vor den Boxen eingepennt. Von daher habe ich den Spitznamen. Also, wie ist es? Wie heißt du?«
    »Piet, aus Holland.«
    Ich ließ seine Hand los. Die ganze Zeit hatte ich sie gehalten wie einen kalten, feuchten Lappen.
    »Dann ist dieser Buchhändler dein Kumpel. Er hat hier übrigens Lokalverbot. Weißt du, warum? Weil er jeden im Billard fertiggemacht hat. So wie der spielt, kann es keiner von den Jungens hier. Ich war früher gut. Aber jetzt hab ich eine weiche Birne. Du siehst ja, was mit mir los ist. Dafür bin ich der einzige weit und breit, der sich ein Hühnerei auf

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