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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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einem brutalen Kinn. Ich kannte ihn schon von meinem ersten Besuch. Er musterte mich und schien wenig erbaut von dem Ergebnis. Dann sagte er: »Man hat sich hier beschwert über Sie. Es heißt, daß Sie unseren jungen Mädchen nachstellen.«
    Einen Augenblick lang war ich wütend über soviel Feindseligkeit, aber dann siegte die Vernunft. Schließlich wollte ich hier etwas. Schläfti war die Situation sichtlich unangenehm.
    »Mein Kumpel ist in Ordnung, Wilhelm. Wir waren doch alle mal jung.« Er machte die Situation nur noch schlimmer. Der andere drehte sich um und wollte gehen. Aber Schläfti stellte sich ihm in den Weg. »Gib mir den Schlüssel, bitte, Wilhelm, ich zieh auch die Uhr für dich auf.«
    »Ich darf niemand in den Turm lassen«, knurrte Wilhelm. »Die Uhr muß erst morgen wieder aufgezogen werden.«
    Schläfti kniete nieder in den Schnee und faltete seine kaputten Hände, so gut es ging. »Ich flehe dich an, Wilhelm, bei unserer alten Freundschaft, mach eine Ausnahme, nur ein einziges Mal.«
    Wilhelm schien noch ungehaltener: »Also dann, nur weil du es bist, Schläfti. Aber das nächstemal bringst du mir keinen hergelaufenen Casanova mit.«
    Wieder erstickte ich meine Wut. Wir stapften im Gänsemarsch durch den Hof, in einer schmalen Spur im jungfräulichen Pulverschnee. Der Holzhaufen war erheblich gewachsen. Ich hatte Wilhelm in Verdacht, daß er es war, der mit solcher Besessenheit Holz zu spalten liebte.
    »Wilhelm war mal der Schloßverwalter hier«, flüsterte Schläfti. »Jetzt ist er arbeitslos. Eigentlich ist er ganz nett.«
    Der Gegenstand seiner Bemerkung drehte sich um und blickte uns böse an. Wahrscheinlich war jegliches Flüstern in seinen Ohren konspirativ.
    Wir kamen an einer atriumartigen Mulde vorbei. »Hier wird im Sommer Theater gespielt«, sagte Schläfti.
    »Ich weiß, Ritterstücke, wie der Götz.«
    Wieder drehte sich Wilhelm um und warf mir einen vernichtenden Blick zu.
    Leck mich am Arsch, dachte ich.
    Wir erstiegen über das Treppenhaus eines Nebengebäudes und eine schmale, hölzerne Brücke den Felsen, der die Mitte der Anlage ausfüllte. Auf ihm erhob sich jener mittelalterliche Turm aus rohbehauenen Steinquadern, der wie ein Mast der Anlage die Form eines riesigen Schiffes verlieh. Eine Arche, die auf dem Gipfel des Ararat gestrandet war.
    Wilhelm schloß mit einem rostigen Schlüssel auf.
    »Haltet euch schön fest«, sagte er. »Ich will keine Leiche aus dem Loch da holen.«
    Er zeigte in den schwarzen Brunnen, in den sich das Turminnere nach unten fortsetzte. Mir schwante nichts Gutes, vor allem bei meiner alten Neigung zur Höhenangst, die ich inzwischen zwar einigermaßen im Griff hatte, die mich jedoch hin und wieder attackenartig überfiel.
    Der Brunnen sei zehn Meter tief, leierte Wilhelm mit der Stimme eines Fremdenführers. Er habe einst als Gefängnis gedient. Hier sei an Ausbruch nicht zu denken gewesen, fügte er mit einer Stimme hinzu, die offensichtlich den Ärger ausdrückte, daß diese Zeiten vorbei waren.
    Über dem Loch schraubte sich eine schmale Holztreppe mit wackligem Geländer und offenen Stufen in die dämmrige Höhe. Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte und meine Pulsfrequenz stieg. Vor mir trampelte Wilhelm in schwarzen Lederschaftstiefeln hinauf, hinter mir hörte ich Schläfti schnaufen. Es gab keine Wahl, ich mußte weiter.
    »Der Turm ist zwanzig Meter hoch«, sagte Wilhelm. Ich hätte ihn erwürgen können. »Gut festhalten jetzt und Vorsicht, hier fehlt eine Stufe.«
    Ich versuchte den Blick in den gähnenden Schlund unter mir zu vermeiden. Endlich erreichten wir eine wenig vertrauenerweckende Plattform aus Brettern, zwischen denen handbreite Ritzen klafften. Hier tickte auch ein riesiges Uhrwerk, von dem aus vier Eisenstangen durch den Raum zu den Wänden liefen. Die Antriebswellen der Uhr. Wilhelm zog das Werk mit einer Kurbel auf. Die Gewichte kamen langsam an Stahlseilen aus der Tiefe emporgeschwebt. Ich hielt mich krampfhaft an einigen Holzverstrebungen fest und sah aus kopfgroßen Schießscharten hinunter. Der Blick war wirklich lohnend. Wir segelten oder, besser gesagt, dampften wie ein Schlachtschiff durch ein Dunstmeer aus Abgasen und den zahllosen Schloten entweichenden Rauchschwaden. Aus dem braunen Nebel ragten vereinzelte Dächer, die Türme des Unteren Schlosses und der Kirche wie Klippen hervor. Irgendwo dort unten gab es Menschen, die mir etwas bedeuteten, Dick vor allem, dessen derzeitigen Aufenthalt ich

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