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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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höchst fahrigen und nervösen Eindruck. Zwar sprach er mit großer Eloquenz, aber immer wieder zuckten seine Gesichtszüge, sprang er auf, schob er den kurzen linken Arm in die weiße Uniformjacke und zog ihn wieder hervor. Mir war klar, daß es sich um niemand Geringeren als Wilhelm II. handelte, den letzten deutschen Kaiser. Wie in jenen Dioramen früherer Zeiten, in denen große Momente der Geschichte, die Schlacht bei Waterloo, der Untergang Pompeis oder Caesars Alpenübergang auf Jahrmärkten durch Gucklöcher zu sehen waren, blickten wir in die Vergangenheit, die mit Hilfe perfekter Kulissentechnik glaubhaft die Aura von Gegenwart simulierte.
    In diesem Moment tönte tief die Schiffssirene. Wilhelm sprang auf und rannte an eines der Bullaugen. »Es kommt Nebel auf, meine Herren, ich nehme an, eine Situation, die zu keinerlei Besorgnis Anlaß gibt. Wir haben einen fähigen Kapitän auf der Brücke.«
    Er trat ans Rednerpult zurück, steckte die linke Hand in die Jackentasche, trank einen Schluck Wasser und sagte:
    »Ich komme also jetzt wie angekündigt zum eigentlichen Gegenstand unseres Treffens. Die Entwicklung der Panzerplatte und ihre Auswirkung auf den Ausbau unserer Flotte. Tirpitz, sollte ich einmal Unsinn reden, schreiten Sie ein und berichtigen Sie mich. Sie sind der eigentliche Fachmann.«
    Ein großer, gedrungener Mann mit mächtigem Kinnbart, der ihm, in der Mitte geteilt, in zwei eisgrauen Zapfen bis fast auf die Brust herabhing, erhob sich aus seinem Fauteuil, stieß eine Wolke aus seiner torpedoähnlichen Zigarre, sagte: »Jawohl, Majestät, die Zukunft der deutschen Marine liegt auf dem Wasser« und setzte sich wieder.
    »Ich habe Sie nicht nach Ihrer werten Meinung gefragt, Tirpitz, sondern nach Ihrer Bereitschaft, mich notfalls in fachlichen Details zu korrigieren.« Der Admiral erhob sich wieder, stieß eine neue Qualmwolke von sich und sagte: »Majestät, ich glaube kaum, daß Sie sich irren können. Sie wissen mehr über die Konstruktion von Kriegsschiffen als jeder Ingenieur.«
    Der Kaiser neigte huldvoll seinen Kopf, zwirbelte seine beiden aufrecht stehenden Bartspitzen und sagte: »Keine Übertreibungen, Tirpitz. Vor allem kein Personenkult. Das schwächt unsere militärische Position, die durch die Verbindung russischen Temperaments mit englischer Kühle und deutscher Festigkeit gekennzeichnet ist.«
    »Wo bleiben Franzosen?«
    Es gab Gelächter, der Zwischenrufer war ein kleiner, schmaler, eleganter Mann im schwarzen Anzug. Seine Augen waren sehr hell, sein Gesicht von Lachfalten gemustert.
    »Unser Kanzler beliebt zu scherzen«, sagte der Kaiser. »Was hat die Liebe zu den Damen mit unserer militärischen Position zu tun?«
    Wieder gab es Gelächter.
    »Meine militärische Position ist gewöhnlich die von oben.« Auch dieser Zwischenrufer erntete Beifall. Es war die Stimmung einer Herrengesellschaft im fortgeschrittenen Stadium. Kellner erschienen und schenkten Sekt aus. Dazu gab es orangefarbenen Lachs.
    »Die Panzerplatte im allgemeinen und im besonderen«, knüpfte der Redner an sein Thema an, »ist eine durchaus geniale wie zwiespältige Konstruktion, wie mir der anwesende Stahlfabrikant Friedrich Krupp bestätigen wird. Würden Sie dem Manne den gebührenden Beifall spenden, denn ihm verdanken wir die größten Fortschritte im Ausbau unserer wirtschaftlichen und militärischen Macht.«
    Tosender Beifall. Ein kleiner, feister Mann mit Vatermörder und hellem Sommeranzug erhob sich, verneigte sich und fiel in seinen Sessel zurück. Seine Lippen und Wangen waren rot geschminkt.
    »Das Besondere an einer guten Panzerplatte ist ihre Konsistenz«, fuhr der Kaiser fort. »Nicht die Dicke der Armierung allein entscheidet nämlich über die Kriegstauglichkeit eines Panzerschiffes. Wichtiger noch ist die Tatsache, daß es sich um ein inhomogenes Material handelt. Außen muß es möglichst hart wie Diamant sein, innen jedoch zäh und weich wie ein... Knabenpopo.«
    Überschnappendes Gelächter der Runde. Jemand rief: »Ein Lob unserem Caprifischer.«
    Der kleine, feiste Mann erhob sich wieder und verneigte sich mehrmals.
    Der Kaiser fuhr fort:
    »Die Folge ist, daß ein von außen eindringendes Geschoß entweder schon an der harten Außenhaut zerschellt oder aber, wenn es eindringt, nur unschädliche Risse oder allenfalls Löcher hervorruft, nicht aber die ganze Platte wie Eis zerspringen läßt.
    Ihnen, Exzellenz, mein lieber Freund Fritz Krupp, ist es neuerdings gelungen, die

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