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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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schloß sie die Tür von innen ab.
    Jetzt erst machte sie Licht. Wir standen in einem Flur, dessen kultivierte Gestaltung mich überraschte. Hier war nichts von dieser heruntergekommenen, muffigen Stimmung, die draußen herrschte und auch in alle Innenräume gedrungen war, die ich bisher in dieser Stadt erlebt hatte. Wenige, erlesene Graphiken, eine Serie von Stierköpfen Picassos, ein hochfloriger roter Läufer, von geputzten Messingstangen gehalten, ein Oleanderbaum, der in einem offensichtlich antiken Tontopf überwinterte.
    »Sind Ihre Eltern nicht da?« fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind in den Westen gefahren. Nach Bamberg. Sie gehen dort ins Konzert.«
    Sie ging voran, die Treppe empor, ich sah, wie schön sie sich bewegte, keinerlei überflüssige Drehungen, kein haltsuchendes Berühren des Handlaufs, fast sah es aus, als schwebte sie über die Stufen.
    Ich folgte ihr mit klopfendem Herzen. Oben machte sie wieder Licht, nachdem sie die Treppenhausbeleuchtung gelöscht hatte.
    Sie bat mich in ihr Zimmer. Alles war weiß hier, selbst die beiden Sesselchen. Ein weißes Klavier, ein weiß bezogenes Bett. Weiße Vorhänge, hinter denen sie jetzt ein Rouleau herabließ. Farbe kam nur von zahllosen Stofftieren, ganzen Menagerien, die überall Herden bildeten. Man konnte mit den Augen auf Safari gehen.
    Ein Notenständer war auch da, aufgeschlagene Noten darin. Ich sah in das Heft. »Syrinx«, sagte ich, »mein Lieblingsstück.«
    »Sie scheinen Noten lesen zu können.«
    »Ich spiele auch ein wenig Flöte«, sagte ich. »Ich habe Sie gestern gehört.«
    »Und ich Sie gesehen.«
    »Sie sind sehr, sehr gut.«
    »Sie spielen bestimmt besser als ich.«
    »Vielleicht habe ich mehr Routine. Aber Sie haben etwas viel Wichtigeres. Sie können mit Ihrer Flöte die Seele eines Stückes aus dem Korb der Noten locken, sie wie ein Schlangenbeschwörer tanzen lassen.«
    Sie lächelte. »Warum geben Sie sich so viel Mühe, mir zu schmeicheln?«
    »Ich meine, was ich sage. Ich drücke mich vielleicht ein wenig gestelzt aus, aber...«
    Sie setzte sich, hielt die makellosen Beine damenhaft parallel. »Spielen Sie mir vor«, sagte sie, »dann verstehe ich vielleicht besser.«
    Sie hatte eine Autorität, die mir keine Wahl ließ. Ich nahm die Flöte, die auf dem Klavier lag, befeuchtete meine Lippen, atmete tief durch, spielte, hörte mir selbst dabei zu. Ich war nicht schlecht, trotz meiner Trunkenheit, die die schwarzen Notenköpfe wie Eierkohle zwischen den Linien hin und her rollen ließ. Meine Verliebtheit wirkte sich offenbar aus, das Stück so zu interpretieren, als wäre es gerade komponiert worden. Zweimal verspielte ich mich, aber selbst das fügte sich ein in den Zusammenhang der Töne. Die Noten waren längst davongeflogen wie die Schwalben, die sich im Herbst von Überlandleitungen erheben.
    Ich legte die Flöte an ihren Platz zurück und setzte mich auf den anderen Sessel.
    »Sie sind sehr, sehr gut. Wie ein Schlangenbeschwörer.«
    »Warum geben Sie sich solche Mühe, mir zu schmeicheln?«
    »Ich meine, was ich sage.«
    Wir mußten beide lachen, wie Gleichaltrige, wie Verschwörer, die sich einig sind. Es war deutlich, daß ich ihr Zutrauen gewonnen hatte. Sie begann, von ihren Musikstunden zu erzählen, ihrem Lehrer, der alles zu genau nehme, der sie mit der Flöte exerzieren ließ wie mit einem Gewehr. »Er ist ein Verehrer Friedrichs des Großen. Ich muß immer dessen Stücke spielen, obwohl ich sie nicht leiden kann. Sie haben keine Seele, die man aus einem Notenkorb locken könnte.«
    Es war deutlich, daß ihr Gesprächspartner fehlten. Sie zwitscherte ohne Pause, wie ein Wellensittich, und ich hörte zu. »Meine Tiere«, sagte sie, »sind alle in Wirklichkeit lebendig. Sie haben sich nur als Stofftiere verkleidet. Manchmal, vor der Morgendämmerung, legen sie ihre Verkleidung ab. Dann höre ich sie galoppieren, ich höre, wie sie Gras rupfen, wie sie schnaufen und sich aneinander reiben.«
    Ich sah auf ihre Lippen, die sie zuweilen befeuchtete, als sei sie dabei zu spielen. Ich spürte den wachsenden Wunsch, sie zu küssen, und ich fühlte zugleich, wie unnahbar Nadja war in ihrer Mädchenhaftigkeit. Dann erzählte ich von mir und von Dick. Von Ines sagte ich kein Wort. »Es gibt hier Verhältnisse, die den Unterschied von Wirklichkeit und Theater verwischen. Auch den von Tod und Leben. Das Schloß über der Stadt ist ein gigantischer Maulwurfshügel. Was darin lebt, könnte eines Tages aus seinem

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