Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
schüttelte sich mein Kopf so hektisch, dass mir ein wenig schwindlig wurde. „Nein, das ist schon okay. Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen. “
„Wirklich?“, fragte er mit hoch gezogenen Augenbrauen. „Dann hast du etwas mit meinem Bruder gemeinsam.“ Die Worte kamen als ein Brummeln über seine Lippen. Schnell schob er sich eine Gabel Pommes in den Mund, doch meine Neugier war geweckt.
„So?“, hakte ich nach und blickte mich suchend um – als würde mir jetzt erst auffallen, dass Noah nicht mit in die Kantine gekommen war. „Wo ist er eigentlich?“
Adrian blickte zu mir auf und stellte für einen Moment das Kauen ein. Er sah mir tief in die Augen, ähnlich bedeutungsvoll wie zuvor schon Kathy. Zum ersten Mal erkannte ich den Ansatz von Unbehagen in seinem Blick. Es wirkte fast so, als würde er abwägen, was er auf meine Frage antworten soll te. Ich hoffte auf die Wahrheit.
„Noah geht nicht in die Kantine”, antwortete er endlich. So bestimmt, als wäre das eine unumstößliche Tatsache. Wie etwas, das man schon vor langem in Stein gemeißelt und für alle Zeiten festgelegt hatte.
„So?“, erwiderte ich und biss in meinen Apfel. Da nähere Erklärungen ausblieben, verbrachte ich die folgenden Minuten damit, nach möglichen Gründen zu suchen. Warum mied Noah die Schulkantine? Gut, das Essen war vielleicht nicht berauschend, aber fern ab von scheußlich. Es gab eine passable Auswahl an warmen und kalten Gerichten und man konnte sich auch allein an einen Tisch setzen, wollte man seine Ruhe haben. Genügend freie Plätze gab es hier immer.
So, wie ich im Geschichtsunterricht die Reaktionen unserer Mitschüler beobachtet hatte, wäre Noah ohnehin unbehelligt geblieben. Niemand schien sich ernsthaft für ihn zu interessieren – was mir nach wie vor ein Rätsel war.
Kathy, die unser Gespräch mitbekommen hatte, zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe, er lässt uns einfach in Ruhe. Von mir aus kann er tun und lassen, was er will. Hauptsache, er rastet nicht wieder aus.“
Sie sah Adrian an – wieder mit diesem bedeutungsschweren Blick, dem ich zum ersten Mal an diesem Morgen begegnet war.
Adrian senkte seinen Kopf und wirkte mit einem Mal fast ein wenig traurig, was jedoch nicht lange währte. Kurz darauf kamen Roger und Tom an unseren Tisch und alberten mit ihm herum. Sofort tauchten die Grübchen in seinen Wangen wieder auf und seine hell braunen Augen strahlten.
Kathy hatte sich Lucy zugewandt, die in einem französischen Magazin blätterte und einigen Mädchen die neuesten europäischen Modetrends präsentierte. Das Thema Noah schien vergessen, doch nicht für mich. Irgendetwas wussten sie alle. Es gab etwas Unausgesprochenes, das Noah betraf. Ein Geheimnis, in das ich noch nicht eingeweiht war. Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete ich Kathy, bis sie mich ansah. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie die Frage in meinem Blick erkannte und auch verstand. Dennoch wandte sie sich wieder Lucy und den anderen zu, ohne mir zu antworten.
Als die Pause vorbei war, setzte sich die Herde meiner Mitschüler in Bewegung. Man spürte, dass die meisten schon ihr halbes Leben miteinander verbracht hatten. Jetzt, da allgemeine Freude über die Wiederkehr der Franklin -Zwillinge herrschte (über Noahs Rückkehr schien sich niemand zu freuen), bewegte sich die Gruppe in völliger Harmonie. Man lachte und scherzte, erzählte sich gegenseitig Anekdoten aus der gemeinsam verbrachten Kindheit ... und beachtete mich nicht. Mir war das recht, gab es mir doch mein lange ersehntes Graue-Maus-Dasein zurück.
Gedankenverloren schlappte ich hinter meinen Mitschülern her und bummelte eindeutig zu lange an meinem Spind. Als ich den Klassenraum betrat, stand unsere neue Mathematiklehrerin bereits vor der Tafel und warf mir einen strengen Blick über ihre schmale Brille hinweg zu. „Miss Rossberg, richtig? Lassen Sie Verspätungen nicht zur Gewohnheit werden! Nicht in meinem Unterricht. Die Pause ist wirklich lang genug.“
Ich nickte beschämt und suchte den Raum nach Kathy ab, um neben ihr Platz zu nehmen. Sie saß im hinteren Drittel, direkt neben Lucy, und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ein beklemmendes Gefühl ma chte sich in meinem Magen breit. Trotzdem lächelte ich tapfer und nickte ihr kurz zu.
In der äußersten Ecke des Klassenraums gab es noch einen unbesetzten Tisch. Kaum hatte ich Platz genommen, meine Schreibutensilien abgelegt und die entsprechende Seite meines verhassten
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