Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
Seite, warf sich auf seinen Schoß, hielt ihm mit beiden Händen den Mund zu und grinste dann breit in die Runde. Alle stimmten in ihr Lachen ein. Alle, außer mir.
Niemand schien es bemerkt zu haben, aber Noah war wieder einmal komplett übergangen worden. Ich wusste, dass Lucy und Adrian sich sehr um ihren Bruder bemühten. Ihre Geduld beeindruckte mich tief. Aber teilweise behandelten sie ihn so wie alle anderen auch. Sie blendeten ihn aus; als wäre er überhaupt nicht existent.
W ährend meine Mitschüler fröhlich lachten und miteinander scherzten, durchfuhr mich ein Stechen, tief in meinem Brustkorb. Es war ein unbekannter Schmerz, und ich brauchte einen Moment, um ihn zu entschlüsseln. Dabei war es so simpel: Noah hatte sich in mein Herz gebohrt.
V.
Der Samstagabend kam, und ich stand frisch geduscht vor meinem Kleiderschrank. Das weiße Frotteetuch, das ich mir um den Körper gewickelt hatte, wirkte nach wie vor zu neu und zu fremd, um wirklich mir zu gehören. Doch ich wischte den Gedanken fort, bevor er zu laut gegen meine Schläfen pochen konnte. Keine Zeit für Wehmut .
In weniger als einer Stunde würde Kathy hier sein , und ich hatte nach wie vor nicht einmal die leiseste Ahnung, was ich anziehen sollte. Das passierte mir wirklich selten – und zwar nicht etwa, weil ich ein besonders geschicktes Händchen in Stilfragen gehabt hätte. Das Gegenteil war eher der Fall: Nichts interessierte mich weniger als Mode. Darum bestand meine gesamte Kollektion auch aus bequemen T-Shirts, unifarbenen Blusen und einigen dünnen Pullovern, die ich allesamt gut mit meinen heißgeliebten Jeans und den wenigen Röcken kombinieren konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen mir einen wirklich unverzeihlichen Fauxpas zu leisten.
Idiotensicher und unspektakulär, so würde ich meinen Stil wohl beschreiben. Etwas Schickes für diesen Abend zu finden war also wirklich nicht so leicht. Angesichts der schwülen Temperaturen entschied ich mich schließlich für eine ärmellose, schwarze Bluse, einen lilafarbenen Seidenschal und einen schwarzen, knielangen Rock. Schwarz ging schließlich immer.
Warum willst du eigentlich überhaupt gut aussehen?, fragte ich mich, während ich mit dem widerspenstigen Reißverschluss des Rocks kämpfte. Zunächst redete ich mir erfolgreich ein, neben Lucy nicht wie ein welkes Blatt aussehen zu wollen und mich daher ins Zeug legen zu müssen. Doch der Versuch meines Selbstbetrugs funktionierte nicht lange.
Tief in meinem Inneren wusste ich genau, für wen ich Minuten später meine gut vergrabene Kosmetiktasche mit den Schminkutensilien hervorkramte. Es gab nur einen, der mich derartig nervös machte, dass ich den rechten Lidstrich viermal neu ziehen musste, bis beide Augen endlich einigermaßen gleich aussahen .
Die Türschelle ertönte viel zu früh. Ich rief meinem Dad zu, er soll te sich doch bitte kurz mit Kathy unterhalten. Derweil durchwühlte ich meinen Schuhschrank und wählte schwarze High Heels, die meine Beine optisch um einen halben Meter verlängerten. Diese Schuhe würden meinen Tod bedeuten. Wenn ich mir in den Teilen nicht die Knöchel brach, wollte ich einen Besen fressen. Ansonsten würde ich auf jeden Fall vor Schmerzen sterben, denn diese engen Dinger waren mit einer jetzt schon spürbaren Blutblasengarantie ausgestattet. Und ich trug sie erst seit einer halben Minute.
Da meine Beine in den dämlichen Schuhen aber wirklich gut aussahen, biss ich die Zähne zusammen und stöckelte vorsichtig – und mit Sicherheit alles andere als elegant – die Stufen unserer breiten Marmortreppe hinab. Kathys Lachen und die tiefe Stimme meines Vaters drangen gedämpft aus der Küche.
Jay , der sich wieder einmal auf der Couch lümmelte, drehte mir beim Klackern meiner Schritte den Kopf zu, musterte mich erstaunt und prustete nach einem kurzen Schockmoment lauthals los. „Absätze, Emmy, wirklich? Wie ein Mädchen? Du kannst doch kaum in deinen Chucks laufen.” Für seine doofen Sprüche hätte ich ihm nur allzu gerne eine Kopfnuss verpasst.
„Jason!“, rief unser Vater aus der Küche – wie so oft mein Retter, „könntest du entweder nett zu deiner Schwester sein oder dich möglichst unauffällig verziehen?“
Ich streckte dem Kindskopf die Zunge heraus und fühlte mich dabei selbst wie eine Fünfjährige.
„Bin schon weg“, rief mein Bruder, pfefferte mir ein Sofakissen entgegen und stürmte die Treppe empor. Gleichzeitig öffnete sich die Tür zur Küche und Kathy
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