Blick in Die Angst
zur Rückseite des Stalls, wo sie unter der Vorratskammer einen Rübenkeller ausgehoben haben.
Vor dem Loch bleibt er stehen und dreht sich so, dass meine Füße über den Rand baumeln. Dann nimmt er die Hand von meinem Mund. Ich schaue hinunter. Zuerst begreife ich nicht, warum er mir den Keller zeigt. Dann stelle ich fest, dass das Loch nur ein paar Schritte tief und hoch ist, und ich denke, dass er mich zur Strafe weitergraben lassen wird.
Dann sagt er: »Siehst du, Nadine? Siehst du, wohin du jetzt kommst?«
Jetzt verstehe ich. Er will mich in das Loch stecken.
Ich trete um mich und kämpfe, aber er hält mich fest. Er tritt zurück und schwingt mich herum, dann packt er eines der alten Metallfässer, die an der Wand aufgereiht stehen. Mit einer Hand hebt er den Deckel hoch. Er hebt mich über den Rand des Fasses.
Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr, ein Schatten, der sich an der Tür bewegt und den schmalen Lichtstreifen blockiert. »Hilfe!«, schreie ich und denke, dass dort jemand ist, dass mich jemand retten wird. Aber es ist nur ein Schwarm Vögel, die zu den Dachsparren emporflattern.
Ich beiße ihn in den Arm, versuche, meine Beine nicht in das Fass gelangen zu lassen, aber er schlägt mir kräftig gegen die Schläfe. Benommen erschlaffe ich in seinen Armen. Er stopft meine Beine in das Fass, nimmt die Knie zur Hilfe, um meinen Rücken hinunterzudrücken. Ich packte den Metallrand. Er schlägt auf meine Fingerknöchel, biegt meine Finger auf, bis ich loslassen muss. Er keucht vor Anstrengung und kriecht umher, dann senkt sich der Deckel über meinen Kopf, und Aaron drückt ihn mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Ich schreie laut, aber es klingt gedämpft.
Er hämmert den Deckel mit den Fäusten fest.
Zwischen dem Deckel und meinem Körper sind nur wenige Zentimeter Luft. Ich bin von Metall umgeben, meine Knie berühren fast mein Kinn, ich hab keinen Platz, um mich zu bewegen oder zu atmen.
Das Fass kippt. Ich lande auf der Seite. Ich höre auf zu schreien, versuche zu begreifen, was passiert. Jetzt rollt das Fass, dann habe ich das Gefühl zu fallen. Ich schlage dumpf auf, mein Körper kracht gegen die Metallwände. Ich schnappe nach Luft.
Eine Sekunde lang ist alles still. Dann bekomme ich etwas Luft, ich schreie immer wieder, aber niemand kommt. Mir ist heiß, und ich schwitze. Der Schweiß tropft mir vom Gesicht. Ich keuche.
Ich höre einen dumpfen Schlag und begreife, dass es sich um Erde handelt, die auf das Fass geschaufelt wird. Ich brülle: »Bitte, nein, bitte, lass mich raus!«
Noch mehr Erde prasselt auf das Fass. Es gelingt mir, neben meinem Ohr einen Arm nach oben zu schieben und gegen den Deckel zu drücken, aber er rührt sich nicht von der Stelle. Drückende Hitze legt sich wie eine schwere Decke auf mich und verschließt mit jedem Atemzug meine Kehle ein wenig mehr. Ich kratze an den glatten Wänden, versuche, meinen Körper zu drehen, doch das macht die Luft nur noch dicker, macht es noch schwerer zu atmen. Ich weine und keuche. Ich höre erstickte Laute aus meiner Kehle, mehr Erde fällt auf das Fass, immer und immer wieder. Dann Stille. Ich stöhne und schluchze wimmernd.
Ein leises, dumpfes Geräusch, als sei jemand in das Loch gesprungen.
»Bitte, bitte, lass mich raus!« Ich bin außer mir und weine.
Aarons Stimme. »Bist du bereit, dich dem Licht hinzugeben?«
»Ja, ja. Ich bin bereit.«
Erneute Stille. Dann: »Ich glaube dir nicht.«
Wieder ein dumpfes Geräusch, als die Erde auf das Fass fällt. Schaufel um Schaufel regnet auf mich herab. Ich schreie, ein wildes, schrilles Kreischen, bis ich keine Luft mehr bekomme und zu hyperventilieren beginne, Tränen und Rotz vermischen sich auf meinem Gesicht.
Endlich hört er auf und ruft hinunter, gedämpft durch die Erde und das Metall: »Willst du von deinen Ängsten befreit werden, Nadine?«
»Ja«, schluchze ich. »Ja. Bitte. Ich tue, was du willst.«
Eine Pause. Er wird mich herauslassen. Ich spüre die Erleichterung in jeder Faser meines Körpers.
Dann beginnt er, noch mehr Erde hinunterzuschaufeln. Ich weiß nicht, ob ich schon fast begraben bin, aber die Geräusche werden immer leiser. Ich mache mir in die Hose. Ich denke an meine Mutter, an Robbie und an meinen Vater. Ich werde sterben. Ich schließe die Augen und singe stumm bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.
Die Geräusche verstummen. Es gibt nichts mehr außer Stille. Ist er fortgegangen? Mir ist schwindelig, ich schlottere vor
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