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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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Schluchzern und vor Panik. Die Sekunden verstreichen. Jetzt bin ich sicher, dass er fortgegangen ist. Ich halte es nicht länger aus. Ich schnappe nach Luft, aber ich kann nicht mehr atmen.
    Dann ein Geräusch ganz in meiner Nähe, etwas kratzt oben auf dem Deckel. Ich erstarre. Noch ein Kratzen, ganz rhythmisch, und ich begreife, dass er die Erde wegschaufelt. Eine Welle der Hoffnung, gefolgt von Angst. Spielt er nur wieder mit mir? Ich drücke erneut gegen den Deckel, flehe mit letzter Kraft: »Bitte. Ich will nicht sterben.«
    Das kratzende Scharren von Metall auf Metall, dann wird der Deckel hochgeklappt. Ich blinzele hinauf ins Licht, ringe keuchend nach Luft. Halb blind kann ich nur Aarons Umrisse im Licht der Öffnung erkennen. Er greift hinunter, zieht mich heraus, stellt mich auf die Beine, aber ich bin so benommen und schwach, dass ich auf dem Boden zusammensacke.
    Er kauert sich vor mich, umfasst meinen Nacken und blickt mir in die Augen.
    »Du kannst nicht vor mir davonlaufen, Nadine. Wir sind jetzt eine Familie.«
    Die Worte kommen verwaschen aus meinem Mund, meine Zunge und Lippen sind trocken, die Kehle ist wund vom Schreien. »Es tut mir leid … es tut mir leid. Bitte, tu mir nicht weh.«
    Der Griff an meinem Nacken wird stärker. Er beugt sich zu mir, er riecht nach Schweiß. Er will etwas sagen. Dann hören wir in der Ferne die Stimmen der Kommunemitglieder, die singend von ihrem Spaziergang zurückkommen.
    Ich öffne den Mund, um zu schreien.
    Er schlägt mich. Mein Kopf knallt gegen das Fass hinter mir, ich bin erneut benommen. Er hält mir den Mund zu, so dass meine Zähne sich in die Lippen bohren. »Wenn du irgendjemandem davon erzählst, mache ich es wieder – aber dann lasse ich dich nicht wieder heraus.«
    Der Druck seiner Hand wird stärker. Ich schmecke Blut. Er sagt: »Ich werde dich lebendig begraben. Hast du mich verstanden?«
    Ich nicke entsetzt.
    Er sagt: »Warte ein paar Minuten, dann gehst du runter zum Fluss und machst dich sauber.« Er beugt sich dicht an mein Ohr, seine Stimme klingt gedämpft und verzerrt, als käme sie aus weiter Ferne. »Denk daran, erzähl es irgendjemandem, und das nächste Mal lasse ich dich sterben.«
    Er hebt mich aus dem Loch und lässt mich auf den Boden der Vorratskammer fallen.
    Dann ist er verschwunden.
    Nach einer Weile reiße ich mich zusammen, verlasse schwankend den Stall, taumele über die hintere Wiese hinunter zum Fluss. Ich gehe zu einem Pool weit unterhalb der Kommune, wo keines der Mitglieder schwimmt. Weinend und zitternd wasche ich mich im eiskalten Wasser. Ich wasche auch meine Kleidung, lege sie auf einen Felsen in die Sonne, rolle meinen nackten, zerschlagenen Körper zu einer Kugel zusammen, verborgen hinter einem großen Felsen, warmer Sand umgibt mich. Ich schlafe ein.
    Stunden später, als ich zur Kommune zurückkehre, fragt mich meine Mutter, wo ich gewesen sei. Am Fluss, sage ich. Und dass ich mir die Lippe an einem Felsen aufgeschlagen habe.
    Und dass ich mich an nichts mehr erinnern kann.

    Jetzt zwang ich mich, meinen Körper zu entspannen und bewusst ein- und auszuatmen. Ich hatte Angst, meine Knie zitterten, aber ich musste mich ganz auf den Augenblick konzentrieren, die Situation analysieren und Schritt für Schritt vorgehen. Hol ein paarmal tief Luft. Du kannst hier rauskommen, wenn du ruhig bleibst.
    Aaron würde nicht meinetwegen zurückkommen. Er hatte mich vor Jahren gewarnt, und sein Zorn war zu groß. Dieses Mal würde er mich sterben lassen. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und ich suchte nach einem Lichtspalt am Rand des Deckels, aber mich umgab nichts als Schwärze und der faulig-ranzige Geruch nach altem Pferdefutter. Mein Kopf füllte sich mit entsetzlichen Bildern von Gefriertruhen, die in den siebziger Jahren zurückgerufen worden waren, weil Kinder darin gestorben waren, und mit Erinnerungen an die ständigen Warnungen, niemals beim Spielen in so eine Truhe zu klettern.
    Ich versuchte zu berechnen, wie viel Luft ich hatte, wie lange ich überleben könnte. Ich wusste, dass ich, wenn ich zu hektisch atmete, die Luft schneller verbrauchen würde, also versuchte ich, langsamer zu atmen. Ich glaubte nicht, dass ich viel Zeit hatte, die Luft schmeckte bereits anders, mein Kopf fühlte sich ganz leicht an, und das Blut rauschte laut in den Ohren. Ich versuchte, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich sterben könnte. Ich dachte an meine Familie. Was würde mit Lisa geschehen? Würde sie jemals

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