Blick in Die Angst
tun sollte. Um zu meinem Wagen zu gelangen, müsste ich um das ganze Haus herumkommen, ohne dass sie mich entdeckten. Wenn sie das Auto starten hörten, würden sie mich verfolgen, also musste ich zuerst den Truck fahruntüchtig machen. Adrenalin verlieh mir die nötige Stärke, verengte meinen Fokus auf diesen einzigen Moment, in dem ich hinüberkroch und dann vorsichtig aufstand und in die Fahrerkabine des Trucks lugte. Keine Schlüssel im Zündschloss. Ich würde ein paar Kabel rausreißen müssen. Als die Stimmen im Haus erneut lauter wurden, öffnete ich vorsichtig die Tür des Trucks und hielt den Atem an, als ich die Verriegelung der Motorhaube öffnete.
Im Haus wurde es still, und ich befürchtete, sie hätten mich gehört, doch dann begann Daniel erneut zu schreien: »Wir können das nicht machen – wir können die Leute nicht sterben lassen.«
Hastig riss ich jedes Kabel und jeden Schlauch raus, die ich zu fassen bekam. Als ich fertig war, schaute ich hinüber zum Haus und sah Mary an der Hintertür stehen.
Sie hatte mich beobachtet. Wir starrten einander an. Ich war sicher, dass sie die Männer rufen würde, aber sie nickte nur kurz, drehte sich um und ging wieder hinein.
Ich schlich ums Haus, kletterte in meinen Wagen und sah den Schlüssel im Zündschloss stecken. Ich startete den Motor und fuhr los. Daniel, Joseph und Aaron stürmten aus dem Haus. Im Rückspiegel sah ich, wie Mary Daniel am Arm packte und ihn zurückhielt. Die Hunde rannten ebenfalls auf mich zu, und einer sprang direkt vors Auto. Ich trat auf die Bremse, versuchte, ihm auszuweichen, und geriet auf dem losen Schotter ins Rutschen, bis ich vor einem Baum zum Stehen kam. Ich legte den Rückwärtsgang ein.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und sah Aaron auf mich zurennen. Er warf etwas auf mein Fenster, und ich duckte mich automatisch. Glas splitterte, und ein Stein traf meinen Arm. Schmerz durchschoss mich, als ich das Lenkrad packte, Gas gab und versuchte, um ihn herumzufahren. Joseph rannte vor das Auto. Das Gewehr in seiner Hand zielte auf mich.
Ich trat auf die Bremse und duckte mich erneut. Aaron steckte die Hand durch das zerbrochene Fenster und schlug mich kräftig seitlich auf den Kopf. Ich saß benommen da, als er die Tür entriegelte und den Gang rausnahm. Ich kroch über den Beifahrersitz, doch er packte meine Beine und zerrte daran. Ich klammerte mich an das Lenkrad und trat mit aller Kraft nach hinten aus.
Wo war Joseph? Ich schaute kurz nach links. Er stand immer noch vor dem Wagen, das Gewehr auf mich gerichtet, und wartete auf den nächsten Befehl seines Bruders.
Ich sah durch das Rückfenster, suchte nach Hilfe, nach einer Fluchtmöglichkeit, nach irgendetwas. Mary schrie hysterisch und schlug die Hände vor dem Mund zusammen. Daniel starrte wie gelähmt zu uns herüber, das Gesicht voller Entsetzen und Panik. In seiner Hand hielt er das zweite Gewehr.
Ich brüllte: »Daniel, schieß. Du musst auf ihn schießen. Heather hat dich geliebt. Sie hätte nicht gewollt, dass du das hier zulässt.«
Daniel weinte. Er hob das Gewehr.
Aaron drehte sich nicht um. Er versuchte immer noch, mich aus dem Wagen zu zerren, so sicher war er sich der Kontrolle über seinen Sohn.
Ich hörte ein Krachen. Aaron ließ meine Beine los. Ich schaute über die Schulter und sah ihn: Er hielt sich verblüfft die Seite, ehe er auf dem Boden zusammensackte.
Joseph kam herüber und starrte mit ausdrucksloser Miene auf ihn hinunter, das Gewehr an seiner Seite.
Daniel rannte auf Joseph zu und griff ihn an.
Während die Männer sich kämpfend auf dem Boden wälzten, kletterte ich zurück auf den Fahrersitz und legte den ersten Gang ein. Joseph riss sich los und rannte auf den Truck zu, Daniel folgte ihm auf den Fersen.
Ohne zurückzublicken, gab ich Gas und preschte über die Auffahrt davon.
35. Kapitel
So schnell ich konnte, raste ich über die enge Schotterpiste, geriet in einer Kurve ins Schleudern und schlingerte einmal beinahe die Böschung hinunter. Als ich an einem Gebiet vorbeikam, in dem gerade Bäume gefällt wurden, fiel mir ein großer Bagger auf, und ein Bild tauchte blitzartig in meinen Kopf auf: von Robbies Bagger bei seinem Haus, unten bei der Kläranlage – und dem frischen Erdhaufen. Jetzt kam mir etwas an diesem Bild merkwürdig vor. Noch ein Bild tauchte auf: Die Deckel der neuen Schächte waren mit Erde bedeckt. Ich verstand nicht viel von Kläranlagen, aber ich wusste, dass die Deckel freibleiben
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