Blick in Die Angst
Finns Eltern nahmen einen der Trucks und fuhren zur Polizeiwache. Stunden später fand die Polizei Finn, kopfüber in einer Pfütze, die winzige Hand noch fleckig vom Saft der Beeren. Er war an Erschöpfung und Unterkühlung gestorben.
Alle waren am Boden zerstört. Selbst Aaron wirkte bestürzt und umklammerte das Holzpferd, das er Finn geschenkt hatte. Doch dann richtete er sich auf und sagte: »In meiner Vision ging es Finn gut. Ich dachte, es würde bedeuten, dass er noch unter uns weilt, aber jetzt begreife ich, dass es ein Zeichen war, dass er sicher auf der anderen Seite ist.« In den folgenden Tagen arbeitete Aaron intensiv mit uns daran, Finns Geist zu erreichen. Seine Miene verriet seine starke Gefühlsregung, wenn er die Chants leitete, seine Stimme klang sicher und kräftig. Hin und wieder fing Finns Mutter während der Meditation an zu weinen. Sie sagte, sie habe ihren Sohn gesehen, er habe ganz friedlich ausgesehen und sei vom Licht umhüllt gewesen. Andere erzählten das Gleiche, aber egal, wie sehr ich mich auch anstrengte, ich sah ihn nie.
Nach Finns Tod meditierte meine Mutter oft und lange privat mit Aaron, aber es schien ihr nicht zu helfen. Sie blieb stundenlang in ihrer Hütte und weinte viel. Oft sah ich sie bekümmert mit den anderen Frauen sprechen. Seit Willow fort war, verbrachte Robbie seine Zeit hauptsächlich damit, am Fluss zu angeln. Ich versuchte, mit ihm über Mom zu reden, und er sagte, ich solle mir ihretwegen keine Sorgen machen, sie sei nur aufgewühlt wegen Finn. Er würde mit ihr reden. Nicht lange danach kam endlich unser Vater, um uns zu holen.
Ein Truck kam ins Camp, als wir mitten beim Abendessen waren. Ich erkannte ihn sofort und sprang mit den Worten »Das ist mein Dad!« vom Tisch auf. Robbie stand ebenfalls auf, doch unsere Mutter blieb sitzen und sah uns beklommen an.
Ein paar Schritte von uns entfernt blieb der Truck stehen. Dad stieg aus, die schmutzige Baseballmütze saß schief auf dem Kopf. Er sah wütend aus, seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Aaron stand auf und sagte: »Können wir dir helfen?«
»Ich bin hier, um meine Familie zu holen.« Dad winkte uns zu sich. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, doch dann hob Aaron eine Hand in die Höhe. Ich blieb stehen. Robbie war ebenfalls stehen geblieben, doch er wirkte überaus erleichtert, als er unseren Vater ansah. Unsere Mutter hatte sich nicht gerührt. Ich schaute zu ihr hinüber. Mit weitaufgerissenen Augen und offenem Mund starrte sie ihren Mann an.
Aaron sagte: »Sie haben jetzt eine neue Familie.«
»Kinder, holt eure Sachen«, sagte mein Dad.
Ich spürte eine Bewegung zu meiner Linken. Meine Mutter erhob sich, aber ganz langsam, vorsichtig, mit angstvollem Blick. Sie sah meinen Dad an, dann Aaron. Ihr war anzusehen, wie sie hin- und herschwankte. Furcht überwältigte mich. Ich wollte fort, aber ich hatte Angst, dass mein Dad uns bestrafen würde, weil wir davongelaufen waren. Ich wusste nicht, wovor meine Mom sich fürchtete – vor meinem Dad oder davor, wegzugehen. Robbie ging zu seinem Zelt, aber ganz langsam. Abwartend schaute er zurück zu Mom. Schließlich setzte auch sie sich in Richtung ihrer Hütte in Bewegung, doch als sie an Aaron vorbeikam, packte er sie am Arm.
»Kate, überleg dir gut, was du tust. Deine Kinder sind hier sicher.«
Mein Dad stand immer noch neben seinem Truck. »An Ihrer Stelle würde ich das bleibenlassen.«
Aaron schaute ihn an und ließ meine Mutter augenblicklich los. Ich sah zu meinem Vater und entdeckte das Gewehr, das er mit dem Lauf nach unten in der Hand hielt. Es musste auf dem Boden der Fahrerkabine gelegen haben.
»Meine Familie wird ihre Siebensachen und unsere Tiere einsammeln. Dann werden sie mit mir fahren. Haben Sie ein Problem damit?«
Aaron lächelte besonnen. »Hey, Mann. Wir wollen hier keine Probleme. Wenn sie gehen wollen, können sie das jederzeit machen.«
Der Anhänger stand immer noch hinter dem Stall, und Mom und Robbie luden rasch die Pferde ein. Aus Furcht vor dem, was uns möglicherweise zu Hause erwartete, und benommen, weil mein Vater nach all den Monaten plötzlich hier auftauchte, stand ich wie angewurzelt da und sah ihnen zu. Robbie winkte mir zu, mich nützlich zu machen. Ich schnappte mir Jake und die Katzen und packte sie ins Fahrerhaus des Trucks, zusammen mit einer Tasche mit meinen Habseligkeiten. Immer wieder blickte ich zum Tisch, von wo aus die Gruppe uns beobachtete. Einige wirkten verstört, andere
Weitere Kostenlose Bücher