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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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pummeliges, kleines Ding mit roten Apfelbäckchen gewesen. Ich tat immer, als würde ich daran knabbern, woraufhin sie quietschend lachte. Ihre Augen konnten schon immer ganze Geschichten erzählen, doch jetzt konnte ich sie nicht einmal dazu bringen, mich anzusehen.
    Eines Tages durchsuchte ich Lisas Zimmer und entdeckte ganz hinten in ihrem Kleiderschrank eine verschlossene Metallkiste. Ich warf alles in den Müll, die kleinen Tütchen, die Pfeifen, Strohhalme, Aschenbecher und Spiegel. Ich schickte sie in eine Entzugsklinik, aus der sie mich anrief und mich anbettelte, sie abzuholen, doch ich blieb hart. Als sie wieder zu Hause war, blieb sie nach wenigen Wochen erneut nächtelang fort. Schließlich verkaufte ich aus purer Verzweiflung unser Haus und zog mit ihr nach Nanaimo, in der Hoffnung, dass eine kleinere Stadt weniger Ärger bedeutete. Doch selbst dort fand sie Wege, um an den Stoff heranzukommen. In ihrem letzten Schuljahr lief sie dreimal davon. Trotzdem schaffte sie ihren Abschluss, allerdings als Schlusslicht ihrer Klasse. Jetzt, dachte ich. Jetzt wird sie ihr Leben grundsätzlich ändern. Doch meine Erleichterung war nur von kurzer Dauer. An dem Tag, an dem sie mit der Schule fertig war, warf sie ein paar Sachen in ihren Rucksack und stürmte aus dem Haus. Erst später erfuhr ich, dass sie nach Victoria zurückgekehrt war.
    Seitdem versuchte ich, sie über die Eltern ihrer Freunde im Auge zu behalten. Einmal kam sie zu Weihnachten nach Hause, verbrachte die meiste Zeit mit ihrem Handy, während ich versuchte, den Zauber ihrer Kindheit wieder zum Leben zu erwecken. Im Jahr darauf versprach sie, Weihnachten heimzukommen, sie rief sogar ein paar Tage vorher an, um es zu bestätigen, tauchte aber nie auf. Seitdem war sie nicht mehr zu Hause gewesen. Ich hob jedes Geschenk von jedem Weihnachtsfest und jedem verpassten Geburtstag auf. Und ich hörte niemals auf, meine Tochter zu vermissen.
    Keine Nacht verging, in der ich mich nicht fragte, wo sie war, ob sie genug zu essen hatte, ob sie womöglich fror. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was sie ihrem Körper antun mochte, an die Dinge, die sie womöglich tat, um an Drogen zu kommen. Und vor allen kämpfte ich mit den Schuldgefühlen. War ich zu sehr mit meiner eigenen Trauer beschäftigt? Ich hätte mehr mit ihr sprechen sollen, hätte früher herausfinden müssen, was los war.
    Und über alldem lag stets das beschämende Gefühl, als Ärztin versagt zu haben. Als sie anfing, Drogen zu nehmen, glaubte ich noch, ihr helfen zu können. Ich war Psychiaterin, natürlich konnte ich meiner eigenen Tochter helfen! Aber dann, als jeder Versuch fehlschlug und sie schließlich davonlief, dachte ich: Was bin ich bloß für eine Ärztin? Wie kann ich mich einen Profi nennen, wenn meine drogenabhängige Tochter auf der Straße lebt?
    Manchmal fragte ich mich, ob die Probleme nicht vielleicht schon angefangen hatten, bevor Paul krank wurde. Nach Lisas Geburt blieb ich ein Jahr zu Hause, anschließend arbeitete ich Teilzeit in der Klinik. Als sie fünf war, beschloss ich, einen langgehegten Traum zu verwirklichen und Psychiaterin zu werden. Paul unterstützte mein Vorhaben, und ich schrieb mich an der Medizinischen Hochschule in Vancouver ein. Lisa lebte bei mir und kam bald darauf ebenfalls in die Schule. Paul besuchte uns an den Wochenenden. Als Lisa zehn war, gingen wir zurück auf die Insel, und ich schloss meine Facharztausbildung im St.-Adrians-Krankenhaus ab. Während dieser Jahre gab ich mir Mühe, alles unter einen Hut zu bekommen, ich wollte trotz meiner Arbeit eine gute Ehefrau und Mutter sein. Doch jetzt entsann ich mich, wie oft ich Lisa schroff angefahren hatte, weil ich auf dem Sprung zur Vorlesung war, oder wie ich ihr befahl, leise zu sein, weil ich lernen musste – und ihres enttäuschten Gesichts.
    Vor acht Monaten hatte ich Lisa das letzte Mal gesehen. Nachdem ich vor meiner Praxis überfallen worden war, hatte meine Freundin Connie sie schließlich aufgespürt. Sie besuchte mich im Krankenhaus. Ich war so froh, nahm sie ganz fest in die Arme und hätte sie am liebsten nie wieder losgelassen, damit sie nie mehr davonlaufen könnte. Aber sie war nervös, hatte dunkle Ringe unter ihren umwerfend blauen Augen und war erschreckend dünn. Sie war hochgewachsen wie ihr Vater, und ihr Anblick erinnerte mich an Paul, wie er kurz vor seinem Tod ausgesehen hatte. Sie konnte mich kaum ansehen, blieb nur ein paar Minuten und erklärte dann, sie sei mit einem

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