Blick in Die Angst
auf, dass Robbie und Willow fehlten, doch Aaron gesellte sich zu uns an den Fluss. Nachdem die Kinder in ihre Hütte geschickt worden waren, blieb ich wach, aus Sorge um Robbie. Ich versuchte, die Stimmen am Lagerfeuer zu erkennen, und konnte Aaron ausmachen, ab und zu auch meine Mutter und andere Mitglieder, doch Robbie hörte ich immer noch nicht.
Am nächsten Tag zum Frühstück stellte ich erleichtert fest, dass Robbie wieder da war, doch als ich auf ihn zurannte, merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte, und blieb stehen, als würde sich eine unsichtbare Mauer zwischen uns auftürmen. Er war blass, die Haare zerzaust, nasse Locken klebten an seiner Stirn. Die Augen waren rotgerändert und blutunterlaufen. Er hielt seine Hände ganz merkwürdig, als hätte er Schmerzen, und die Knöchel waren aufgeschürft. Ich fragte mich, wo er die ganze Nacht gesteckt hatte. Mein nächster Gedanke war: Er sollte Willow nach etwas Salbe fragen . Doch als ich mich umschaute, entdeckte ich sie nirgends.
Alle versammelten sich zur Morgenmeditation, doch ehe Aaron die Chants anleitete, winkte er uns zu sich und erzählte uns, Willow sei heute früh fortgegangen. »Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie hat nicht auf mich gehört. Sie sagte, sie sei es leid, immer an einem Ort zu leben, und wolle wieder reisen.«
Als Aaron uns losschickte, um zu meditieren und uns von den schlechten Gefühlen zu reinigen, die Willows plötzlicher Weggang hervorgerufen hatte, schlich ich mich in ihr Zelt, auf der Suche nach einer Nachricht, einer Erklärung, irgendetwas. Alles, was ich fand, war eine handgenähte Patchworktasche unter ihrem Kissen. Darin befanden sich ein paar Kleidungsstücke und selbstgemachte Toilettenartikel.
Aaron betrat das Zelt. »Was machst du hier?«
Ich presste Willows Besitztümer an meine Brust, während ich zu ihm hochstarrte. In meinen Ohren rauschte das Blut. »Ich verstehe nicht, warum Willow gegangen ist.«
In diesem Moment fiel mir auf, dass er Willows Weste trug.
Er sah mich ruhig an, doch seine Stimme hatte einen warnenden Unterton. »Das Leben in einer Gruppe gefällt ihr nicht, deshalb ist das hier nicht der richtige Ort für sie. Jedes Mitglied muss tun, was gut für alle ist, nicht nur für einen selbst, oder wir leiden alle.«
Die Frage entschlüpfte mir, ehe ich mich bremsen konnte. »Warum hast du ihre Weste an?«
»Sie hat sie am Morgen beim Lagerfeuer liegengelassen.« Er schaute daran herunter und zupfte an einer der Fransen. »Das Licht wollte, dass ich sie bekomme.«
Einige Mitglieder waren verärgert, weil Willow gegangen war, und das so kurz nach Coyotes Tod, doch Aaron sagte, wir sollten nicht vergessen, dass es ihre negativen Schwingungen gewesen waren, die zu Coyotes Tod geführt hatten, und dass sie der Kommune Probleme gemacht habe. Ohne sie seien wir besser dran. Die Einzigen, die je Probleme mit ihr hatten, waren Joseph und Aaron, aber jetzt, wo sie fort war, vergaß die Gruppe dieses Detail rasch. Aaron ermahnte uns, wir dürften nicht zulassen, dass Coyote umsonst gestorben sei, und müssten versuchen, aus seinen und Willows Fehlern zu lernen. Ab diesem Zeitpunkt nannte die Kommune sich The River of Life, und einer der Männer schnitzte ein Schild für den Baum am Eingang: zwei Hände, die sich zum Licht emporreckten.
Ich weiß nicht, wie lange wir in der Kommune gelebt hätten, wenn der kleine Junge nicht gestorben wäre. Er hieß Finn und war achtzehn Monate alt, als er davonlief, während alle anderen bis spät nachts am Lagerfeuer saßen. Es war Ende September, und als seine bekifften Eltern, die noch ein zwei Monate altes Baby hatten, begriffen, dass er weg war, war er bereits seit Stunden unterwegs. Alle wurden geweckt, und wir suchten überall, konnten ihn aber nirgends finden. Die Kommune hielt eine Versammlung ab, um zu entscheiden, ob wir die Polizei einschalten sollten. Es war riskant, denn im Stall trockneten die Marihuanapflanzen, und wir hatten bereits durch Coyotes Tod unliebsame Aufmerksamkeit auf uns gezogen.
Schließlich meditierte Aaron in der Schwitzhütte und berichtete anschließend von seiner Vision, dass Finn sich an einem warmen Ort versteckte. Weil man ihm beigebracht hatte, Beeren zu essen und Wasser zu finden, ginge es ihm gut. Am Morgen konnten wir ihn immer noch nicht finden, also meditierten wir in der Gruppe und chanteten, um ihn nach Hause zu bringen, doch Aaron sagte, unsere Angst blockiere seine Verbindungen mit der anderen Seite.
Weitere Kostenlose Bücher