Blick in Die Angst
verärgert. Ich wollte mich verabschieden, doch als ich auf den Tisch zuging, packte Robbie mich am Arm. »Wir müssen los.«
Das war das letzte Mal, dass ich einen von ihnen sah.
8. Kapitel
Am Abend nach der Sitzung mit Heather wollte ich mein Fahrrad aus dem Schuppen holen. Das hatte ich schon häufig getan, seit ich hierhergezogen war, aber dieses Mal brach mir in dem kleinen Raum der Schweiß aus, und mein Herz raste. Ich packte den Fahrradlenker und versuchte hastig, rückwärts hinauszukommen, doch dabei fiel eine Gartenschaufel um und krachte in eines der Räder. Mittlerweile in voller Panik, zerrte ich an der Schaufel, doch meine Hände waren feucht und rutschig, so dass ich mit der einen abglitt, hinten gegen die Wand prallte und mir die Knöchel aufscheuerte.
Als ich endlich mein Fahrrad draußen hatte, schob ich es auf meine Auffahrt, saugte an dem Kratzer und ärgerte mich über mich selbst. Morgens war ich schon einmal in Panik geraten, als ich auf den Fahrstuhl zum Parkplatz gewartet hatte. Die Türen öffneten sich, doch ich schaffte es nicht, einzusteigen, obwohl keine Leute darin standen. Ich musste die Treppe nehmen und im engen Treppenhaus gegen die Übelkeit ankämpfen, bis ich endlich die Metalltür aufreißen und hinaus ins Licht stürzen konnte, wo ich die frische Luft in tiefen Zügen einsog.
Es war nicht zu übersehen, dass meine Gespräche mit Heather über das Zentrum meine Klaustrophobie verstärkt hatten. Ich wünschte, ich hätte den Grund gewusst, so dass ich mich der Angst stellen konnte. Ich beschloss, hinunter zum Kai zu fahren, um meinen Kopf freizubekommen. An einer roten Ampel rollte ein Pick-up im Leerlauf neben mir heran. Ich sah hinüber zu dem älteren Mann mit Baseballmütze, einer langen Nase und dunklen, buschigen Brauen, wie die meines Vaters. Durch das Rückfenster sah ich einen leeren Gewehrhalter. Die Ampel sprang auf Grün, und er fuhr dröhnend davon, doch ich war in meinen Erinnerungen gefangen.
Als wir von der Kommune fortfahren, schaue ich durch das Rückfenster. Aaron starrt dem Truck nach, mit einem Hass im Blick, den ich nie zuvor in meinem Leben gesehen habe. Unwillkürlich schnappe ich nach Luft. Robbie dreht sich um, aber da ist Aarons Miene schon wieder ausdruckslos. Er sieht uns nach, bis wir außer Sicht sind.
Ein Auto hielt neben mir an, das Radio plärrte, und ich landete unsanft wieder in der Gegenwart. Ich fuhr weiter, hinunter zum Kai, aber ich konnte den Schatten meiner Erinnerung nicht abschütteln. Ich hatte Aarons Gesichtsausdruck am Tag unserer Abreise vergessen, hatte vergessen, wie viel Angst er mir eingejagt hatte. Jetzt erinnerte ich mich wieder an meine Furcht bei unserem Aufbruch, dass Aaron es irgendwie schaffen würde, uns zurückzuholen, und dass wir dann echt in der Klemme säßen, doch zugleich war ich froh, meinen Vater zu sehen. Meine Mutter saß neben ihm, und wir quetschten uns alle auf der Vorderbank des Trucks zusammen. Wir fuhren nach Hause.
Wir versuchten, unser gewohntes Leben wiederaufzunehmen, und ich bemühte mich, in der Schule Fuß zu fassen. Eine Frau in der Kommune war früher Lehrerin gewesen, so dass wir etwas Unterricht gehabt hatten, aber ich musste mich gewaltig anstrengen, um den Stoff nachzuholen, oder ich lief Gefahr, die Klasse wiederholen zu müssen. Ich fand nie wieder richtigen Anschluss bei meinen Freundinnen. Ich hatte mich verändert. Wir alle hatten uns verändert. Robbie war trotzig und distanziert, begann sich in der Schule zu prügeln und zu trinken. Noch schlimmer war, dass er kaum mit mir sprach. Sogar unsere Tiere hatten sich verändert. Die Katzen waren halb verwildert, zogen in die Scheune und ließen niemanden mehr an sich heran. Jake lief davon und kam Tage später zurück, nach Aas stinkend, mit wildem Blick und verfilztem Fell.
Nichts wurde wieder so, wie es gewesen war.
Heather wurde von Tag zu Tag mitteilsamer, und von Michelle erfuhr ich, dass sie angefangen hatte, tagsüber aus ihrem Zimmer zu kommen und sich mit anderen Patienten zu unterhalten. Sie nahm sogar an einem von Kevins Entspannungstrainings teil. Daniel besuchte sie immer noch jeden Tag nach der Arbeit. Heather stand jetzt nicht mehr unter ganz so strenger Beobachtung, und weil das Risiko, dass sie davonlaufen könnte, als gering eingeschätzt wurde, hatte man ihr gestattet, normale Kleidung zu tragen. Normalerweise kleidete sie sich in Jeans und Pullover, deren Ärmel bis über die Handgelenke reichten, und sie
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