Blick in Die Angst
trug teure Marken. Ich fragte mich, wie sie zurechtkommen würde, sollten ihre Eltern ihr jemals die Geldmittel streichen.
Jetzt, wo Heather sich mehr pflegte, wusch sie ihre Haare regelmäßig und band sie zu einem Pferdeschwanz zurück, so dass sie frisch und jugendlich wie eine Collegestudentin wirkte. Sie war zwar oft zaghaft und unsicher, hatte aber auch etwas sehr Liebenswertes an sich. Sie erkundigte sich, wie es mir ging, oder äußerte sich besorgt über eine andere Patientin. Ich konnte gut nachvollziehen, warum Daniel sich so zu ihr hingezogen fühlte. Allmählich mochte ich sie selbst recht gern und war ganz eingenommen von ihrer einfühlsamen, mitfühlenden Art.
Eines Tages traf ich zufällig Kevin auf dem Gang vor seinem Büro.
»Und, wie läuft’s mit Heather?«, fragte er.
»Sie macht Fortschritte. Ich bin froh, dass ich sie behalten habe.« Ich freute mich unglaublich, dass es ihr besserging. Allzu häufig hatten wir es mit Menschen zu tun, die chronisch suizidgefährdet und wild entschlossen waren, sich auf Teufel komm raus selbst zu zerstören. Es war angenehm, jemanden wie Heather zu behandeln, die tatsächlich zuhörte und bereitwillig an ihrem Behandlungsplan mitarbeitete.
»Gut. Freut mich, dass sich das geklärt hat.«
Ich verschwieg ihm allerdings, dass es auf mich den gegenteiligen Effekt hatte. Meiner Patientin ging es besser, aber mir immer schlechter. Jetzt, wo Heather die Schleusen meiner Erinnerungen geöffnet hatte, musste ich nachts wieder das Licht anmachen, oder ich wälzte mich stundenlang im Bett und horchte bei jedem Geräusch auf. Ich hatte aufgehört, den Fahrstuhl im Krankenhaus zu benutzen, und nahm nur noch die Treppe. Nach der Arbeit konnte ich die Vorstellung nicht ertragen, nach Hause zu fahren und mit meinen Gedanken allein zu sein, während die Wände auf mich zuzukommen schienen, also fuhr ich durch die Straßen und hielt Ausschau nach Lisa.
Gleich nachdem ich wieder in die Stadt gezogen war, war ich zu dem Wohnblock gegangen, in dem Lisa laut einer Freundin wohnen sollte. Doch der Vermieter, ein übler Kerl, hatte sie rausgeschmissen. Ein junger Mann erzählte mir, dass sie bei ein paar Leuten in der Innenstadt wohnte, aber das entpuppte sich ebenfalls als Sackgasse. Sie hatte eine Weile bei ihnen auf dem Sofa geschlafen und war dann verschwunden. Als ich fragte, ob sie immer noch Drogen nahm – sie war auf Crystal Meth gewesen –, erzählte man mir, dass sie versuchte, clean zu werden, und es fast geschafft hatte. Aber ich wusste, dass ihre Erfolgsaussichten ohne eine Therapie schlecht waren – ein Punkt, über den wir uns schon häufig gestritten hatten.
Als Paul im letzten Jahr meiner Facharztausbildung krank wurde, war Lisa vierzehn. Ab dem Zeitpunkt begann sie mir zu entgleiten. Sie sprach kaum, lief in schlabberigen Klamotten herum, bleichte sich die Haare, malte sich die Augen schwarz an und hing mit anderen Jugendlichen herum, die ich für wenig vertrauenswürdig hielt. Nach Pauls Tod, in jenen düsteren Tagen, als ein Teil von mir mit ihm gestorben war, wurde sie noch stiller, weigerte sich ganz, mit mir zu reden. Sie blieb nächtelang fort, schlief den ganzen Tag und schwänzte die Schule. Nicht einmal ihr einundzwanzigjähriger Stiefbruder, Garret, konnte sie aus ihrem Schneckenhaus hervorlocken. Als ich Paul kennenlernte, war er erst fünf Jahre alt gewesen und alles andere als glücklich damit, doch schließlich wurden wir Freunde. Als Paul krank wurde, verbrachte Garret viel Zeit mit Lisa, ging mit ihr Hamburger essen, sorgte dafür, dass sie beschäftigt war, während ich im Krankenhaus war. Wenn ich nach Hause kam, fing sie wegen jeder Kleinigkeit Streit an. Es tat mir im Herzen weh, und ich wusste, wie verzweifelt sie wegen ihres Vaters war. Aber ich war auch wütend auf sie – weil sie mit mir stritt, obwohl ich es kaum durch den Tag schaffte, weil sie Drogen nahm und sich selbst zerstörte, während ich mein Möglichstes tat, um die Familie zusammenzuhalten.
Ich schaltete schnell, was ihre Stimmungsschwankungen, die schlechte Haut, die Unruhe und Paranoia zu bedeuten hatten. Ich hasste diesen Dämon, der mir meine süße Tochter stahl, die früher Tiere und Freunde aufgepäppelt hatte, die eines Tages Tierärztin werden wollte wie ihr Vater. Verzweifelt musste ich mit ansehen, wie sie vor meinen Augen immer weiter abbaute, wie ihre Wangen hohl wurden und jede Lebendigkeit aus ihrem Blick schwand. Als Krabbelkind war sie ein
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