Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)
hofften, sie würden zurückkommen. In vielen Fällen trafen sie auch Freunde und Verwandte, die bereits gestorben waren, und dann erkannten sie auch diese Menschen sofort. Viele, die ein Nahtoderlebnis hatten, berichten auch von Rückschauen auf ihr Leben, in denen ihnen ihre Interaktionen mit verschiedenen Menschen sowie die guten oder schlechten Taten gezeigt wurden, die sie im Laufe ihres Lebens begangen hatten.
Ich habe nichts dergleichen erlebt, und alles in allem ist dies das Ungewöhnlichste an meinem Nahtoderlebnis. Ich war während des gesamten Erlebnisses vollkommen frei von meiner körperlichen Identität. Das heißt, dass jedes klassische Nahtodereignis, das eine Erinnerung daran, wer ich auf der Erde war, beinhaltet hätte, völlig fehlte.
Wenn ich sage, dass ich an jenem entscheidenden Punkt des Geschehens immer noch keine Vorstellung davon hatte, wer ich war oder woher ich kam, klingt das ein bisschen verwirrend, das weiß ich. Wie konnte ich denn all diese erstaunlich komplexen und schönen Dinge lernen, das Mädchen neben mir, die blühenden Bäume, die Wasserfälle und die Dorfbewohner sehen und dennoch nicht wissen, dass ich ich war: Eben Alexander? Wer erlebte das alles? Wie konnte ich all das verstehen und dennoch nicht erkennen, dass ich auf der Erde ein Arzt, Ehemann und Vater war? Dass ich, als ich den Übergang betrat, ein Mensch war, der Bäume und Flüsse und Wolken nicht zum ersten Mal sah, sondern als Kind an dem sehr konkreten und irdischen Ort Winston-Salem, North Carolina, aufgewachsen war und dort mehr als genug davon gesehen hatte?
Ich kann darauf nur sagen, dass ich mich etwa in der Lage von jemandem mit partieller, aber wohltuender Amnesie befand. Das heißt, von jemandem, der einige Schlüsselaspekte von sich selbst vergessen hat, aber von diesem Vergessen profitiert, und sei es nur für kurze Zeit.
Was hatte ich davon, dass ich mich nicht an mein irdisches Selbst erinnern konnte? Nun, das erlaubte mir, mich tief in die Reiche jenseits des weltlichen zu begeben, ohne mir Sorgen darum machen zu müssen, was ich dort zurückließ. Während der ganzen Zeit, die ich in jenen Welten verbrachte, war ich eine Seele, die nichts zu verlieren hatte. Es gab keine Orte, die ich hätte vermissen, und keine Menschen, um die ich hätte trauern können. Ich war von nirgendwo gekommen und hatte keine Geschichte, und so akzeptierte ich meine Umstände – selbst die ursprüngliche Dunkelheit und das Chaos im Reich der Regenwurmperspektive – uneingeschränkt und gelassen.
Und weil ich meine sterbliche Identität so vollkommen vergessen hatte, wurde mir Zugang zu dem wahren kosmischen Wesen gewährt, das ich in Wahrheit bin (und das wir alle sind). Wieder war meine Erfahrung in mancher Hinsicht mit einem Traum vergleichbar, in dem man sich an manche Dinge über sich selbst erinnert, während man andere vollkommen vergisst. Doch wieder ist dies nur ein teilweise brauchbarer Vergleich, denn, und das kann ich gar nicht oft genug betonen, der Übergang und das Zentrum waren nicht annähernd traumartig, sondern über aus real und alles andere als eine Illusion. Das Ganze klingt vielleicht, als sei die Abwesenheit meiner irdischen Erinnerungen während meiner Zeit im Reich der Regenwurmperspektive, im Übergangsbereich und im Zentrum auf irgendeine Weise beabsichtigt gewesen. Ich ver mute mittlerweile, dass dies auch der Fall war. Auf die Gefahr hin, die Dinge zu stark zu vereinfachen, sage ich, dass mir erlaubt wurde, heftiger zu sterben und tiefer zu reisen als fast alle anderen, die vor mir ein Nahtoderlebnis hatten.
Das soll keineswegs arrogant klingen. Die umfangreiche Literatur über Nahtoderlebnisse hat mir entscheidend dabei geholfen, meine eigene Reise im Koma zu verstehen. Ich kann nicht behaupten, dass ich weiß, warum ich dieses Erlebnis hatte, aber jetzt (drei Jahre später) weiß ich aus dem Studium der Literatur über andere Nahtoderlebnisse, dass das Eindringen in die höheren Welten meist ein allmählicher Prozess ist, der das Loslassen der individuellen Anhaftung an die Ebene voraussetzt, auf der man sich befindet, bevor man höher oder tiefer steigt.
Das war für mich kein Problem, denn während meines gesamten Erlebnisses hatte ich keine irdischen Erinnerungen irgendwelcher Art, und nur, als ich zur Erde zurückkehren musste, wo meine Reise begonnen hatte, empfand ich Schmerz und Kummer.
15
Die Gabe des Vergessens
Wir müssen an den freien Willen glauben. Wir haben keine
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