Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
akzentuiert und hilflos: «Arsche. Am Arsche wohne ich.» Als Kitty daraufhin laut lachte, lief ich rot an. Ob sie vielleicht heimlich Deutschstunden genommen hatte?
Ich werde es nie herausfinden, denn eines Abends, als ich nach Hause kam, war Kitty verschwunden. Sie kehrte auch am nächsten Tag nicht in den Fahrstuhl zurück und am übernächsten auch nicht. Es stellte sich heraus, dass unsere Hausverwaltung sämtliche Fahrstuhlknopfdrückerinnen entlassen hatte. Das sollte eine Strafe dafür sein, dass viele Wohnungseigentümer ihre Hausverwaltungsgebühr schon seit Jahren nicht gezahlt hatten. Die FSKD waren also offenbar doch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Sofort begann ich mir um China Sorgen zu machen. Die aber stellten sich bald als unbegründet heraus. Erstens sitzen auch heute noch FSKD in vielen Fahrstühlen im ganzen Land. Und zweitens hat unsere Regierung durchaus noch andere unnütze Jobs auf Lager: Wachleute, die nur in der Gegend herumstehen und nichts bewachen, Verkäuferinnen, die in Kaufhäusern an jedem einzelnen Regal aufpassen, dass bloß niemand etwas kauft, oder sogenannte Verkehrsmanagement-Assistenten, die mit der Trillerpfeife im Mund und einer Fahne in der Hand Fußgänger und Fahrradfahrer darauf hinweisen, dass die Ampelfarbe gerade gewechselt hat. Besonders dankbar aber bin ich für einen Beruf, der im Zuge des Arbeitsbeschaffungsprogramms eher en passant geschaffen wurde, den des LBDAIUJ-B nämlich. Das heißt «Leute bei der Ausübung ihres unnützen Job-Beobachter», und ich freue mich wirklich sehr, dass gerade ich diesen Job bekommen habe.
6 Der Mann, den sie Berg nannten
Sehen Sie sich bitte das Foto dieses Mannes genau an! Spüren Sie was? Nein? Ich schon – jedes Mal, wenn ich sein Foto sehe, muss ich mich gewaltig ärgern. Der Mann heißt Mark Rowswell, wird in China aber nur Da Shan (Großer Berg) genannt. Und leider sieht man sein Bild hier an jeder Ecke.
Um ehrlich zu sein: Ich ärgere mich eigentlich gar nicht über den Mann, sondern eher über mich selber. Da Shan erinnert mich nämlich immer wieder daran, dass ich viel zu spät nach China übersiedelte. Der Kanadier dagegen kam 1988, genau im richtigen Moment, als junger Student, der an der Universität Peking Chinesisch lernen wollte. Das tat er so eifrig, dass er bereits ein Jahr später einen kleinen Gastauftritt in der Neujahrsshow des chinesischen Fernsehens hatte, der beliebtesten Sendung des Jahres. Da lieferte er sich mit seinem Förderer Jiang Kun einen echten Xiangsheng. Das ist ein traditioneller, komischer Stand-up-Dialog, der voller Wortspiele ist und gespickt mit historischen Verweisen und Bezügen. Dieser Auftritt war eine Sensation für die Chinesen, die bis dahin einfach nicht geglaubt hatten, dass ein Lao Wai auch nur halbwegs korrekt Chinesisch sprechen kann.
Mein liebster Feind: der Kanadier Mark Rowswell, genannt Da Shan.
So wurde Da Shan mit einem Schlag berühmt und machte anschließend eine beispiellose Karriere. Heute ist er nicht nur mit seinen Xiangsheng-Performances zu sehen, sondern auch in Spielfilmen und Fernsehserien sowie als TV-Sprachlehrer, der versucht, uns Ausländern Chinesisch beizubringen. Damit ist Da Shan nicht nur der bekannteste weiße Mann in China, sondern mit insgesamt achthundert bis neunhundert Millionen Zuschauern, die allein die Neujahrsshows haben sollen, wohl auch der berühmteste nichtchinesische Entertainer der Welt. Nur mal zum Vergleich: Im Zwergstaat USA wohnen rund dreihundert Millionen Menschen, und Thomas Gottschalk hat, wenn es sehr gut läuft, bei «Wetten, dass …?» fünfzehn Millionen Zuschauer. Damit ist Da Shan sechzigmal populärer als der deutsche Showmaster und immer noch dreimal berühmter, als es ein amerikanischer Unterhaltungskünstler in seinem Heimatland je werden kann.
Genau deshalb ärgere ich mich. Denn wäre ich bloß rechtzeitig nach China gekommen – sagen wir: drei, vier Monate vor ihm – und hätte ich mich ein bisschen auf der Uni angestrengt, dann könnte ich heute Da Shan sein. Ich wäre nicht nur unvorstellbar berühmt, sondern auch ein reicher Mann, der geschätzte fünfhunderttausend US-Dollar pro Jahr verdient. Da Shan vermarktet seinen China-Weltruhm nämlich kräftig. Er hat zig Bücher geschrieben, darunter Englischlehrbücher und Kanada-Reiseführer für Chinesen, eine chinesische Einführung ins Internet und eine ganze Kinderbuchreihe, die «Onkel Dagobert», Quatsch, «Onkel Da Shan» heißt.
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