Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
mit Streifen oder gelben Enten drauf. Neulich sah ich einen Mann in einem solchen Pyjama Moped fahren. Dazu trug er braune Puschen.
Den Gipfel der Schamlosigkeiten aber bildet die öffentliche Beschäftigung mit dem eigenen Körper. Dauernd fummelt der Pekinger an sich rum. Im Restaurant bohrt er in der Nase. An der Straßenkreuzung steht er da und streicht sich gedankenverloren über den nackten, biergerundeten Bauch. Und bei Geschäftsverhandlungen die Beine auf den Tisch zu legen und sich die Fingernägel zu schneiden, gehört offenbar zum guten Ton. Jedenfalls werden diese Schamlosen nie angestarrt, und keiner, aber auch wirklich kein Einziger, käme darauf, sie auszulachen.
Ebendieses Phänomen hat mich auf eine Idee gebracht. Auf dem hiesigen Russenmarkt, der so heißt, weil sich hier bevorzugt Russen mit schlimmen Klamotten eindecken, werde ich mir ein orangefarbenes Netzhemd, eine Schlafanzughose, bedruckt mit Pokémon-Motiven, sowie strassbesetzte, gelbgrüne Gummischlappen kaufen und gleich mal auf der Straße testen. Alle fünfzig Meter werde ich stehen bleiben, um mir gedankenverloren die Brustwarzen zu massieren. Jede Wette: So falle ich nicht mehr auf und komme ruck, zuck durch die Stadt – völlig unbeglotzt, unbelacht und unbehelligt.
Gong Bao Ji Ding ist ein chinesisches Standardgericht, das unter Chinesen und Ausländern gleichermaßen beliebt ist. Es besteht aus kleingeschnittenem Hühnchenfleisch, gerösteten Erdnüssen, Frühlingszwiebeln, Chili sowie Sichuanpfeffer und stammt ursprünglich aus Sichuan. Es wurde angeblich nach Ding Baozhen (1820 – 1886) benannt, der in dieser Provinz während der späten Qing-Dynastie Gouverneur war und den Titel «Gong Bao» trug, was so viel wie Palastwächter bedeutet. Das heutige Gong Bao Ji Ding soll sein Leibgericht gewesen sein. Wie es zu seiner Zeit hieß, ist mir nicht bekannt. Wegen dieses feudalen Ursprungs bekam die Speise während der Kulturrevolution Schwierigkeiten und wurde schließlich umbenannt. Dabei wechselten die Revolutionäre das Zeichen für Bao gegen ein anderes Bao aus, wodurch sich nur die Tonhöhe leicht änderte. Aus dem verhassten Adelstitel wurde so über Nacht eine Kochmethode («schnell gebraten»). Im heutigen China sind wieder beide Schreibweisen üblich.
4 Chinesisch mit Chuck
Nach mehr als zwei Jahren, die ich in Singapur unter Chinesen verbracht habe, lerne ich jetzt endlich ihre Sprache. Meine Schule ist sehr gut. Im Aufenthaltsraum stehen eine Zweiliterflasche Scotch (drei viertel leer), eine Flasche Wodka (noch nicht angebrochen), ein guter Rémy Martin (fast ausgetrunken). Auch unsere kleine chinesische Lehrerin gibt sich große Mühe. Trotzdem habe ich noch nicht viel gelernt. Ich habe bisher eigentlich nur behalten, dass «mian» Nudel heißt – und Gesicht. Ziemlich ulkig, aber auch vertrackt.
Statt Chinesisch lerne ich täglich etwas Neues über meine Mitschüler. Das liegt an der Lehrerin, die uns geschickt ausfragt. Wie heißt du, wie alt bist du, wo kommst du her, was ist dein Lieblingsbuch, warst du schon mal im Gefängnis? Chinesen sind grundsätzlich neugierig. Sie fragen einem so große Löcher in den Bauch, dass Grizzlybären darin Winterschlaf halten könnten.
Über Anna, die aussieht wie eine etwas zu stabil geratene Flamencotänzerin, weiß ich mittlerweile, dass sie zweiundzwanzig ist und bisher in New York gewohnt hat. Sie liebt indisches Essen, hat einen Cousin mit gepiercter Unterlippe und zwei Freundinnen, die Susan und Carey heißen. Ihre Eltern leben in Washington, aber sie hat einen südamerikanischen Pass. Irgendwann will sie ein Buch über China schreiben.
Der dicke Roger ist dreiundfünfzig und kommt ursprünglich aus Iowa, wo er als Jugendlicher Umgang mit Kriminellen hatte. Die letzten Jahre lebte er in Santa Barbara, Kalifornien. Da war es ihm allerdings zu langweilig. Also ging er nach China. Sein Lieblingsautor ist Mark Twain, sein Lieblingsfilm «A Clockwork Orange», sein Lieblingsdrink warmer Campari ohne alles. Das größte Erlebnis, das er je hatte, war ein Anruf von Steve Jobs persönlich. Leider war Roger gerade nicht zu Hause, und seine chinesische Frau hatte von diesem Jobs noch nie gehört. Roger wohnt schon ein Jahr in Peking und sagt: «Chinesisch ist eine verdammt harte Sprache. Der einzige Satz, den ich bisher gelernt habe, lautet: ‹Cao ni ma bi.›» Fragen Sie bitte einen Chinesen, was das heißt. Oder nein: Fragen Sie besser nicht.
Dann ist da
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