Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Geld aber macht er mit Werbung, weshalb er einem auch an jeder Straßenecke entgegenlächelt: Da Shan wirbt für Klimaanlagen, für chinesischen Schnaps, «kanadischen» Ginseng, für Anzüge, für den Import kanadischer Atomkraftwerke und jeden Abend direkt vor und nach den Hauptnachrichten für ein elektronisches Übersetzungstool der Firma Word King. Meine Lieblingswerbung ist allerdings die für Nao Bai Jin, ein traditionelles chinesisches Medikament, das einen schlauer machen soll, weshalb sein Name auch Platingehirn bedeutet.
Wäre ich Da Shan, hätte ich aber nicht nur einen Haufen Geld, man würde mich auch mit einer Vielzahl von Auszeichnungen überschütten. So wurde dem Kanadier 2004 der Titel «Hervorragender junger Erwachsener» verliehen, eine der höchsten Ehrungen, die die Stadt Peking zu vergeben hat. Im Jahr 2008 bekam er als erster westlicher Ausländer den «White Magnolia Award» für die beste Nebenrolle in einem Theaterstück. Und sogar im Westen wird der Tausendsassa inzwischen wahrgenommen. Das «Time Magazine» wählte ihn bereits vor einiger Zeit zu einer der «führenden Persönlichkeiten des 21. Jahrhunderts». Ein Titel, von dem ich schon lange träume.
Aber selbst wenn ich mir täglich fünf Liter Platingehirn einverleibte, wäre es mir wohl unmöglich, Da Shans Erfolg zu wiederholen. Das zeigen die Versuche der verschiedenen Da-Shan-Imitatoren. Der Schwede Johan Bjorksten kam nur wenig später als Mark Rowswell. Er nannte sich frech Da Long (Großer Drache) und führte als Fernseh-DJ die Chinesen in die westliche Rockmusik ein. Außerdem schrieb er ein Buch über Schriftzeichen und kann ein berühmtes Tang-Dynastie-Epos aus dem Kopf rezitieren. Trotzdem darf er heute im Fernsehen nur ab und zu ein Erdbeersoufflé zubereiten.
Auch der Engländer Daniel Newham kommt nicht an den Erfolg von Da Shan heran, obwohl er sich wirklich größte Mühe gibt. Er turnt nicht nur in diversen Fernsehsendungen herum, sondern versucht sich noch dazu als Sänger. Dabei nimmt er alles mit, was kommt: mongolische Volkslieder oder auch ein halb geraptes Stück wie den englisch-chinesischen Olympiasong «Get In The Jing». Doch Newham wird weder auf der Straße erkannt, noch in die Neujahrsshow eingeladen. Vielleicht liegt es daran, dass sich der Engländer im verzweifelten Bemühen, es dem großen Da Shan nachzutun, den Namen Da Niu gab, Großer Ochse bzw. Große Kuh. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er, der erst 1999 angefangen hat, in Peking zu studieren, einfach nur zum falschen Zeitpunkt kam.
Mittlerweile leben nämlich Tausende von langen Nasen in China, die genauso gut Chinesisch sprechen können wie Da Niu oder Da Shan. Doch damit kommt man heute nur noch als Experte für Nahrungsmittelsicherheit und Ähnliches ins Fernsehen. Es sei denn, man tritt im Rudel auf: als Talkshow-Klatschvieh oder in einer Sendung, in der eine chinesische Jury die Putonghua-Sprachkompetenz verschiedener ausländischer Kandidaten bewertet, um am Ende dann den Super-Lao-Wai zu wählen.
Ganz offensichtlich ist seit Da Shans Durchbruch der Zug zum schnellen Fernsehruhm für uns lange Nasen abgefahren. Darüber ärgere nicht nur ich mich, sondern auch viele andere Ausländer hierzulande. Das kann man in verschiedenen China-Blogs und Expat-Internetforen nachlesen, wo der große Mann von Chinakennern und Chinesischsprechern als ahnungsloser Affe, dilettierender Clown und Kasper beschimpft wird, der sich bei den Chinesen anbiedert.
Das allerdings bringt mich auf eine Idee: Wenn ausgezeichnete Chinesischkenntnisse und sonstige Qualifikationen nichts mehr nützen, um in China ein Star zu werden, vielleicht hätte dann jemand eine Chance, der, so wie ich, kaum Chinesisch sprechen und erst recht nicht lesen kann? Ich hätte auch schon einen Künstlernamen, der den Chinesen gefallen müsste: Da Ben, Großer Idiot. Ich schwöre, damit mache ich hier eine riesige Karriere.
Putonghua heißt so viel wie Allgemeine Sprache oder Standardsprache, wird aber in der Regel mit Hochchinesisch oder Mandarin übersetzt. Sie entspricht mit kleinen Abweichungen ungefähr dem Dialekt, der in Peking gesprochen wird, und wird in allen Schulen Chinas gelehrt. Daneben wird Chinesisch von Chinesen auch Hanyu genannt, was «Sprache der Han(-Chinesen)» bedeutet. Mandarin aber sagt keiner, denn das Wort stammt aus dem Portugiesischen, wo es einen kaiserlich-chinesischen Beamten bezeichnet, der auf Chinesisch gar nicht so heißt, sondern Guan.
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