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Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Titel: Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Ich bin auf jeden Fall heilfroh, dass ich und meine Trommelfelle die letzten Frühlingsfeste in Peking unversehrt überstanden haben. Das liegt auch daran, dass ich zu Neujahr nach Einbruch der Dunkelheit die Hauptkampfzonen in der Innenstadt meide. Jedes Jahr aufs Neue aber denke ich, dass China vielleicht doch einmal eine kleine Wirtschaftskrise guttäte. Am besten jährlich, für dreißig Tage am Anfang eines jeden Jahres.
Die chinesischen Mondkalenderjahre heißen nach den chinesischen Tierkreiszeichen. Das sind in dieser Reihenfolge: Ratte, Ochse, Tiger, Kaninchen, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund und Schwein. Ist dieser Zyklus einmal durchlaufen, beginnt er von vorne. Chinesische Mondkalenderjahre eignen sich hervorragend zum Betiteln von Filmen wie «Im Jahr des Drachen» (Michael Cimino) oder «In the Year of the Pig» (Emile de Antonio), von Hip-Hop-CDs wie «Year of the Dog … Again» (DMX) oder Zeitungskolumnen wie «Im Jahr des Ochsen» (der Autor dieses Buches in der taz).

13 Im Spaßreservat
    Von Zeit zu Zeit fliege ich von Peking nach Hongkong. Dieses kleine Stückchen China, das unter Spezialverwaltung steht, ist eine Art Spaßreservat, das in vielen Bereichen ganz anders funktioniert als der Rest des Landes. So frönen die Hongkonger auf ihrem winzigen Territorium beispielsweise einer total durchgeknallten Regierungsform: der sogenannten Demokratie. Das heißt übersetzt Volksherrschaft, aber so etwas darf man in Spaßchina natürlich nicht wörtlich nehmen. Die sechzig Abgeordneten im Hongkonger Parlament, dem Legislative Council oder kurz: Legco, werden nur zur Hälfte vom Volk direkt gewählt. Der Rest der Abgeordneten wird von unterschiedlichen Interessenverbänden ins Parlament entsandt. Damit stehen die Mehrheitsverhältnisse eigentlich schon vor jeder Wahl fest und haben sich tatsächlich seit der Rückkehr Hongkongs zu China im Jahr 1997 noch nie geändert.
    So ist die Bezeichnung «Demokratie» für die politischen Verhältnisse dort schon ein erster kleiner Spaß. Den hatten allerdings bereits die englischen Demokratieerfinder gemacht. Denn auch als Hongkong noch britische Kolonie war, gab’s hier kein allgemeines Wahlrecht. Der Gouverneur von Hongkong wurde vom König oder der Königin eingesetzt, und damit hatte es sich. Auf den letzten Drücker wurden 1991 erstmals allgemeine Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung abgehalten, die allerdings auf die Ernennung des Gouverneurs keinen Einfluss hatten. Heute wird der Chief Executive Hongkongs von einem achthundert Leute umfassenden Wahlmännergremium gewählt. Das ist zumindest rund achthundertmal demokratischer als eine Ernennung durch die Queen.
    Obwohl ihre Parlamentarier also nicht so wahnsinnig viel zu sagen haben, beteiligen sich die Hongkonger alle vier Jahre mit Begeisterung an den Wahlen. Es scheint darum zu gehen, möglichst viele Spaßpolitiker ins Parlament zu entsenden. Bei der letzten Wahl gelang das besonders gut. Zunächst einmal wurde der Abgeordnete Leung Kwok-hung bestätigt, den man in Hongkong besser unter seinem Spitznamen «Long Hair» kennt. Dieser Mann, der zufällig so alt ist wie ich, trägt nämlich immer noch die Matte seiner frühen Jahre, dazu jeden Tag ein anderes Che-Guevara-T-Shirt aus seiner vermutlich weltweit größten Sammlung von Che-Guevara-T-Shirts. Long Hair ist dafür bekannt, dass er die Faust ballt, sobald ein Fotograf auftaucht, im Parlament gerne dazwischenruft oder sonst wie stört. Vor vielen Jahren war er einmal Mitglied der trotzkistischen Revolutionären Marxistischen Allianz. Bis heute ist er ein scharfer Gegner der Regierung in Peking und muss deshalb von Zeit zu Zeit öffentlich eine chinesische Fahne verbrennen. Noch lustiger als dieser Politiker ist der Name der Partei, der er heute angehört: Liga der Sozialdemokraten. Vorsitzender ist hier ein Mann, gegen den selbst Rudolf Scharping oder Kurt Beck wie weitsichtige Strategen wirken. Wong Yuk-man, genannt «Mad Dog», ist Rindernudelsuppen-Restaurantbesitzer, radikaler Christ und – wenn er nicht gerade Mikrophonverbot hat – Radiomoderator. 1996 versuchte er sich auch als Verleger und gab die Tageszeitung Mad Dog Daily heraus. Kurze Zeit später war die pleite und der verrückte Hund tief verschuldet. Ob es seine Schuldner waren, die ihn mehrmals verprügeln ließen, oder doch eher die Triaden, zu denen ihm andererseits wieder gute Verbindungen nachgesagt werden, ist bis heute nicht geklärt. Auch Wong Yuk-man

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