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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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sehnlicher.
    Jude sagte den Hunden, sie sollten verdammt noch mal das Maul halten. Sie hörten nicht auf ihn.
    Er schaute durch die Windschutzscheibe direkt in die Sonne, in ein in den Himmel gestanztes kupferfarbenes Loch, in einen grellen, erbarmungslosen Punktscheinwerfer, der ihm mitten ins Gesicht leuchtete. Er stöhnte genervt und wollte sich gerade schützend die Hand vor die Augen halten, als ein Mann vor die Motorhaube trat, dessen Kopf die Sonne ausblendete.
    Jude schaute blinzelnd einen jungen Mann an, der einen ledernen Werkzeuggürtel trug und buchstäblich ein Redneck war: Seine verbrannte Haut leuchtete karminrot, ein feiner, satter Farbton. Er sah Jude finster an. Jude winkte, nickte ihm zu und ließ den Motor an. Alsdie Uhr an der Front des Radios aufleuchtete, sah er, dass es sieben Uhr morgens war.
    Der Zimmermann trat zur Seite, und Jude rollte aus der Garage und um den Pick-up des Zimmermanns herum. Der gelbe Labrador lief kläffend bis zum Ende der Einfahrt hinter ihnen her und blieb dann stehen. Als sie in die Straße einbogen, bellte Bon ihn ein letztes Mal an. Jude fuhr langsam am Price-Haus vorbei. Noch hatte niemand den Müll an die Straße gestellt.
    Jude entschied, dass sie noch genügend Zeit hatten, und so verließen sie Jessica Price' kleines Stückchen Vorstadtamerika. Auf dem Stadtplatz drehte er zuerst eine Runde mit Angus, dann mit Bon, und danach besorgte er in einem Imbissladen Tee und Donuts. Marybeth verband ihre rechte Hand mit frischem Mull aus dem Erste-Hilfe-Kasten, dessen Vorräte allmählich zur Neige gingen. Die linke Hand, die wenigstens keine sichtbaren Verletzungen aufwies, ließ sie, wie sie war. Jude tankte an einer Mobil-Tankstelle voll, dann parkten sie am Rand der betonierten Zufahrt und aßen. Den Hunden warf er einfach ein paar Donuts hin.
    Danach fuhren sie zurück. Jude parkte den Wagen ein ganzes Stück von Jessica Price' Haus entfernt auf der anderen Straßenseite. Bis zu dem halb fertigen Haus war es schon ein anständiger Fußmarsch. Er wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, noch einmal von dem Zimmermann gesehen zu werden.
    Es war jetzt kurz nach halb acht, und er hoffte, dass Jessica den Müll bald raustrug. Je länger sie warten mussten, desto wahrscheinlicher würden sie Aufmerksamkeit erregen: zwei tätowierte, unübersehbar verletzte Figuren in schwarzen Lederjacken und schwarzen Jeans in einem schwarzen Mustang. Ihr Aussehen passte zu dem, was sie waren: zwei gefährliche Strolche, die ein Objekt beobachteten, in dem sie ein Verbrechen begehen wollten. Direkt vor ihnen stand einLaternenpfahl, an dem ein Schild mit der Aufschrift HIER WACHT DIE BÜRGERWEHR hing.
    Judes Blut floss ruhig, sein Kopf war klar. Er war bereit, konnte aber nichts tun außer warten. Er fragte sich, ob der Zimmermann ihn wohl erkannt hatte und was er zu seinen Kollegen sagen würde, wenn sie zur Arbeit kamen. Ich pack's immer noch nicht. Der Kerl hat exakt so ausgesehen wie Judas Coyne, steht hier mit seiner Karre in der Garage und pennt sich aus. Mit einer irre scharfen Alten. Hätt' nicht viel gefehlt und ich hätt' gefragt, ob er mir was vorspielt. Und dann dachte Jude, dass der Zimmermann noch einer mehr war, der ihn und Georgia zweifelsfrei identifizieren konnte, nachdem sie getan hatten, was auch immer sie gleich tun würden. Wenn man berühmt war, hatte man es nicht leicht als Outlaw.
    Er sinnierte darüber, welcher Rockstar am längsten im Knast gesessen hatte. Rick James vielleicht. Wie lange hatte der gesessen? Drei Jahre? Zwei? Ike Turner hatte mindestens zwei Jahre gebrummt. Leadbelly war wegen Mord eingefahren, hatte zehn Jahre lang Steine geklopft und war dann, nachdem er für den Gouverneur und seine Familie gespielt hatte, begnadigt worden. Wenn er seine Sache ordentlich machte, dachte Jude, dann könnte er es auf mehr bringen als alle drei zusammen.
    Gefängnis jagte ihm nicht besonders viel Angst ein. Er hatte jede Menge Fans im Bau.
    Das Garagentor am Ende von Jessica McDermott Price' betonierter Einfahrt glitt rumpelnd in die Höhe. Ein schlaksiges, etwa elf- oder zwölfjähriges Mädchen mit keckem goldblondem Bubikopf schleppte eine Mülltonne zum Straßenrand. Bei ihrem Anblick spürte Jude ein überraschtes Prickeln, so auffallend ähnlich sah sie Anna. Das kräftige, spitze Kinn, das strubbelige Haar, die weit auseinander stehenden blauen Augen alswäre Anna aus ihrer Kindheit in den Achtzigern direkt in den strahlenden Morgen von heute

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