Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
passieren.«
    »Ich hab's schließlich nicht mehr ausgehalten und die Kiste ausgemacht. Aber das Bild ist sofort wieder da gewesen. Ich hab das Ding wieder ausgeschaltet und hab dann noch den Stecker rausgerissen, und das war's dann.« Sie hielt inne und sagte dann: »Ich muss jetzt los, Justin. Ich fahr zu einem Nachbarn und ruf von da den Krankenwagen. Nur … Ich hab Angst, an dem Pick-up da draußen vorbeizufahren. Wer ist das in diesem komischen farblosen Wagen?«
    »Glaub kaum, dass du den kennenlernen möchtest. Nimm den Mustang. Der Schlüssel steckt.«
    »Nein, danke. Ich hab gesehen, was da auf dem Rücksitz liegt.«
    »Oh.«
    »Ich nehme meinen Wagen.«
    »Komm dem Pick-up bloß nicht zu nahe. Fahr rechts über den Rasen. Und wenn's sein muss, fahr einfach durch den Zaun. Egal, halt auf jeden Fall Abstand zu dem Wagen. Hast du dir Marybeth angeschaut?«
    Arlene nickte.
    »Und, wie geht's ihr?«
    »Sie schläft. Armes Mädchen.«
    »Du sagst es.«
    »Wiedersehen, Justin.«
    »Pass auf dich auf.«
    »Ich nehm meinen Hund mit«.
    »Gut.«
    Sie machte einen zaghaften Schritt auf die Tür zu und blieb dann wieder stehen.
    »Dein Onkel Pete und ich sind mal mit dir ins Disneyland gefahren«, sagte sie. »Da warst du sieben oder so. Kannst du dich da noch dran erinnern?«
    »Leider nicht.«
    »Als du da oben in dieser Elefantengondel gesessen und im Kreis rumgesaust bist, da hab ich dich zum ersten Mal in deinem Leben lächeln sehen. Das hat mir wirklich gutgetan damals. Ich hab dich lächeln sehen und hab gedacht, vielleicht wird der Junge ja doch noch glücklich. Es hat mir wirklich wehgetan, was dann aus dir geworden ist. Diese schwarzen Klamotten und diese schrecklichen Sachen, die du in deinen Liedern gesungen hast. Ich war todunglücklich. Was war bloß aus dem lächelnden kleinen Jungen geworden, der da oben in dem Elefanten rumgesaust ist?«
    »Er ist verhungert. Ich bin sein Geist.«
    Sie nickte und trat einen Schritt zurück. Dann hob Arlene zum Abschied eine Hand, drehte sich um und ging.
    Danach lag Jude auf seinem Bett und lauschte gespannt den Geräuschen des Hauses. Dem im Wind leise knarzenden Holz, dem auf das Dach prasselnden Regen. Irgendwo knallte eine Gittertür. Vielleicht Arlene, die gerade das Haus verließ. Oder die hin- und herschwingende Tür des Hühnerstalls.
    Abgesehen von der brennenden Hitze in der Gesichtshälfte, die Jessica Price aufgeschlitzt hatte, litt er kaum unter Schmerzen. Sein Atem ging langsam und regelmäßig. Er schaute zur Tür und wartete auf Craddock. Er ließ die Tür keine Sekunde aus den Augen – bis er rechts von sich ein leises Klopfen hörte.
    Er schaute zur Seite. Auf dem Boden lag die gelbe herzförmige Schachtel. Ein dumpfer Schlag drang aus dem Innern. Dann bewegte sie sich, als würde jemand von unten dagegen boxen. Sie schrappte ein paar Zentimeter über den Boden und machte wieder einen kleinen Satz. Ein weiterer Stoß von unten, und der Deckel rutschte an einer Ecke aus der Schachtel.
    Vier knochige Finger schoben sich über den Rand der Schachtel. Beim nächsten Schlag sprang der Deckel ganz heraus und bewegte sich langsam in die Höhe. Craddock hievte sich aus dem Innern der Schachtel, die wie ein herzförmiges Loch im Boden aussah. Der Deckel balancierte auf seinem Kopf wie ein lustiger, alberner Hut. Er nahm ihn ab und legte ihn neben sich auf den Boden. Dann stemmte er sich ruckartig bis zur Hüfte aus der Schachtel – und zwar mit einer einzigen, überraschend sportlichen Bewegung für einen Mann, der nicht nur betagt, sondern tot war. Er stützte ein Knie auf den Boden, hievte den Rest seines Körpers aus der Schachtel und stand auf. Die Bügelfalten seiner schwarzen Hose waren messerscharf.
    Draußen fingen die Schweine an zu kreischen. Craddock bückte sich, griff mit einem seiner langen Arme in die bodenlose Schachtel, tastete darin herum, fand seinen Filzhut und setzte ihn auf. Vor seinen Augen tanzten kritzelige Flecken. Dann drehte er sich lächelnd um.
    »Was hat dich aufgehalten?«, fragte Jude.
    44
    Da wären wir nun, du und ich, am Ende der Strafte, sagte der tote Mann. Er gab aber keinen Ton von sich, obwohl sich seine Lippen bewegten. Die Stimme existierte nur in Judes Kopf. Die Silberknöpfe auf Craddocks schwarzem Anzug funkelten in der Dunkelheit.
    »Ja«, sagte Jude. »Irgendwann musste der Spaß ja mal ein Ende haben.«
    Immer noch voller Kampfgeist. Donnerwetter! Craddock legte eine knochige Hand auf Martins Knöchel und

Weitere Kostenlose Bücher