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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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gelegt und sich die Pulsadern aufgeschnitten. Und unser Stiefvater war der, der sie gefunden hat. Sie hätte alles für Sie getan, aber Sie haben sie weggeworfen wie ein Stück Müll.«
    Florida.
    Florida. Er spürte einen plötzlichen Schmerz in der Magengrube, ein Gefühl, als würde ihm ein kaltes, grässliches Gewicht auf den Leib drücken. Gleichzeitig schien sein Kopf wieder klar zu werden, so als würden die Spinnweben aus nervöser Erschöpfung und abergläubischer Angst abgeschüttelt. Für ihn war sie immer nur Florida gewesen, aber ihr richtiger Name hatte Anna May McDermott gelautet. Sie war Wahrsagerin gewesen, hatte aus Tarotkarten und der Hand gelesen. Sie und ihre ältere Schwester hatten das von ihrem Stiefvater gelernt. Der war von Beruf Hypnotiseur gewesen, die letzte Zuflucht für Raucher und fette alte Damen, die sich selbst nicht ausstehen konnten und von ihren Zigaretten und Schokoriegeln loskommen wollten. An den Wochenenden hatte sich Annas Stiefvater als Wünschelrutengänger verdingt und sein Hypnosependel, ein silbernes Rasiermesser an einer Kette, dazu benutzt, um verlorene Dinge wiederzufinden und denLeuten zu erzählen, wo sie ihre Brunnen bohren sollten. Er ließ es über den Körpern von Kranken hin- und herschwingen, um deren Aura zu heilen oder die Gefräßigkeit des Krebses zu stoppen, oder über einem Ouija-Brett, um mit den Toten zu sprechen. Sein Brotberuf aber war die Hypnose gewesen: Entspannen Sie sich. Schließen Sie die Augen. Lauschen Sie nur meiner Stimme.
    Jessica Price redete weiter. »Vor seinem Tod hat mir mein Stiefvater alles genau erklärt: wie ich mich mit Ihnen in Verbindung setze, wie ich Ihnen seinen Anzug verkaufe und was danach passieren würde. Er hat gesagt, dass er sich schon um Sie kümmern würde, Sie hässlicher, talentfreier Wichser.«
    Sie hieß Jessica Price und nicht McDermott, weil sie geheiratet hatte und jetzt Witwe war. Jude meinte sich dunkel zu erinnern, dass Anna ihm einmal erzählt hatte, Jessicas Mann habe es als Reservist in Tikrit erwischt. Er war sich nicht sicher, ob Anna jemals den Ehenamen ihrer älteren Schwester erwähnt hatte. Sie hatte ihm allerdings erzählt, dass ihre Schwester auch ins Hypnosegeschäft eingestiegen war und damit fast siebzigtausend Dollar im Jahr machte.
    »Warum musste ich den Anzug kaufen?«, fragte Jude.
    »Warum haben Sie ihn mir nicht einfach so geschickt?« Es befriedigte ihn, dass seine Stimme so gelassen klang, gelassener als ihre.
    »Wenn Sie nicht dafür bezahlt hätten, würde der Geist Ihnen nicht richtig gehören. Sie mussten dafür bezahlen. Und Sie werden richtig bezahlen.«
    »Woher wussten Sie, dass ich ihn kaufen würde?«
    »Sie erinnern sich an die E-Mail, die ich Ihnen geschickt habe? Anna hatte mir alles über Ihre kleine kranke Sammlung erzählt… über diesen Haufen Okkultperversscheiße. Ich hab mir gedacht, dass Sie da bestimmt nicht widerstehen können.«
    »Jemand anders hätte zuschlagen können. Die anderen Gebote …«
    »Es gab keine anderen Bieter. Sie waren der einzige. Die andere Gebote waren alle von mir, und die Versteigerung hätte so lange gedauert, bis Sie Ihr Gebot gemacht hätten. Und, wie gefällt Ihnen nun Ihre Neuerwerbung? Ist es das, was Sie wollten? Eins ist sicher, Sie werden noch jede Menge Spaß damit haben. Für den Tausender, den Sie mir für den Geist meines Stiefvaters bezahlt haben, werde ich einen Blumenstrauß für Ihre Beerdigung kaufen. Der Strauß wird mächtig was hermachen.«
    Hau einfach ab, dachte Jude. Raus aus dem Haus und weg. Lass den Toten samt seinem Totenanzug einfach hier. Kleiner Trip nach L. A. zusammen mit Georgia. Ein paar Koffer packen, und in drei Stunden sind wir weg. Danny kann das regeln. Danny kann …
    Als ob er das alles laut ausgesprochen hätte, sagte Jessica: »Na los, hauen Sie ab! Mieten Sie sich irgendwo in einem Hotel ein, und warten Sie ab, was passiert. Wo Sie auch hingehen, er geht mit. Wenn Sie morgens aufwachen, sitzt er am Fußende Ihres Bettes.« Sie fing an zu lachen. »Sie werden sterben, und die kalte Hand auf Ihrem Mund wird seine Hand sein.«
    »Dann hat sie also bei Ihnen gelebt, als das mit ihr passiert ist?«, sagte er. Immer noch die Selbstbeherrschung in Person. Immer noch absolut ruhig.
    Schweigen. Die zornige Schwester war außer Atem und brauchte ein paar Sekunden, bevor sie antworten konnte. Jude hörte im Hintergrund einen Rasensprenger und kreischende Kinder.
    »Das war der einzige Platz, den sie

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