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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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jedenfalls damals geglaubt. Zu jener Zeit hatte er gedacht, dass das eine seiner Stärken war, die Bereitschaft, sie so zu akzeptieren, wie sie war, ohne Fragen, ohne Urteile. Sie war in Sicherheit bei ihm, sie war sicher vor allen Geistern, die sie jemals verfolgt hatten.
    Nur dass sie bei ihm eben nicht sicher gewesen war, wie er jetzt wusste. Die Geister erwischten einen immer, man konnte sie nicht einfach ausschließen, indem man die Tür zumachte. Sie marschierten einfach durch die Tür hindurch. Und was er für eine persönliche Stärke gehalten hatte – sich damit zufriedenzugeben, nur das über sie zu wissen, was sie einen wissen lassen wollte –, war eher Egoismus gewesen. Die kindische Absicht, alles im Dunkeln zu lassen, quälenden Gesprächen und beunruhigenden Wahrheiten aus dem Weg zu gehen. Er hatte ihre Geheimnisse gefürchtet oder – präziser ausgedrückt – die emotionalen Verstrickungen, die mit dem Wissen darum einhergehen könnten.
    Nur einmal hatte sie sich zu einer Art Geständnis durchgerungen, das einer Selbstenthüllung sehr nahe kam. Das war ganz am Ende gewesen, kurz bevor er sie nach Hause geschickt hatte.
    Sie war seit Monaten depressiv. Erst war der Sex langweilig geworden, dann hatten sie gar keinen mehr gehabt.Einmal fand er sie in eiskaltem Badewasser, hilflos zitternd, zu verwirrt und unglücklich, um aus der Wanne zu steigen. Wenn er jetzt darüber nachdachte, kam ihm das vor wie eine Generalprobe für ihren ersten Tag als Leiche, für den Abend, an dem sie unterkühlt, mit verschrumpelter Haut in einer Wanne voll kaltem Wasser und Blut liegen würde. In kindlich plapperndem Singsang sprach sie mit sich selbst, verstummte aber, als er mit ihr zu reden versuchte, und starrte ihn nur verwirrt und verängstigt an, als glaubte sie, die Möbel im Bad würden zu ihr sprechen.
    Dann war er eines Abends außer Haus. Er wusste nicht mehr, weshalb. Vielleicht um einen Film auszuleihen oder sich einen Burger zu holen. Es war gerade dunkel geworden, als er wieder zurückfuhr. Etwa eine halbe Meile vor seinem Haus fingen plötzlich die entgegenkommenden Wagen an, zu hupen und aufzublenden.
    Dann fuhr er an Anna vorbei. Sie war auf der anderen Straßenseite. Sie lief auf der Standspur in entgegengesetzter Richtung und hatte nichts an als eines ihrer übergroßen T-Shirts. Das blonde Haar war vom Wind zerzaust. Als er vorbeifuhr, erkannte sie ihn, rannte wild hinter ihm herwinkend auf die Straße, wo ein Sattelschlepper auf sie zuraste.
    Die Bremsen des Lasters blockierten kreischend, der Auflieger schwenkte nach links, während die Zugmaschine nach rechts schlitterte. Einen halben Meter vor ihr kam der Sattelschlepper quietschend zum Stehen. Anna schien ihn gar nicht bemerkt zu haben. Jude hatte inzwischen angehalten, und sie lief auf ihn zu, riss die Fahrertür auf und warf sich ihm an den Hals.
    »Wo warst du?«, schrie sie. »Ich hab überall nach dir gesucht. Ich bin gelaufen und gelaufen. Ich hab gedacht, du wärst abgehauen, und da bin ich losgelaufen und hab dich gesucht.«
    Der Fahrer des Sattelschleppers hatte die Tür geöffnetund stand mit einem Fuß auf der Trittstufe. »Ist die Schlampe völlig durchgedreht?«
    »Alles klar, ich hab sie«, sagte Jude.
    Der Mann machte den Mund auf, sagte dann aber doch nichts, als er sah, wie Jude Anna quer über seinen Schoß in den Wagen zog, wobei ihr T-Shirt hochrutschte und ihren nackten Hintern entblößte.
    Jude zerrte sie auf den Beifahrersitz. Sie setzte sich sofort auf und drückte ihm ihr heißes, nasses Gesicht an die Brust.
    »Ich hab solche Angst gehabt, solche Angst, ich bin gleich losgelaufen …«
    Er stieß sie mit dem Ellbogen so grob zurück, dass sie gegen die Beifahrertür prallte. Schockiert verstummte sie.
    »Jetzt reicht's. Ich hab die Schnauze voll, du bist ja total am Arsch. Hörst du mir zu? Du bist nicht die Einzige, die in die Zukunft schauen kann. Willst du mal was über deine eigene Zukunft hören? Da seh ich dich mit deinen Scheißkoffern in der Hand auf den nächsten Bus warten.«
    Das Ziehen in seiner Brust erinnerte ihn daran, dass er nicht mehr dreiunddreißig, sondern dreiundfünf zig war, fast dreißig Jahre älter als Anna. Sie starrte ihn an. Mit runden, weit aufgerissenen, verständnislosen Augen.
    Er legte den Gang ein und fuhr weiter. Als er in die Einfahrt einbog, beugte sie sich zu ihm hinüber und wollte ihm die Hose aufmachen, um ihm einen zu blasen. Schon der Gedanke daran drehte Jude den Magen

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