Blinde Angst
zu schicken. Die Frage ist, ob Sie Interesse hätten, sich auf die Sache einzulassen. Im Jamaica Channel wurde eine Leiche gefunden, und es gibt ein gewisses Zeitfenster, in dem man der Sache nachgehen kann, bis sie offiziell als Mord eingestuft wird. In dieser Zeit könnten Sie unbemerkt ins Leichenhaus gelangen.«
»Erzählen Sie mir mehr«, meinte Sherry.
»Ein Inspektor von der Jamaica Constabulary Force war heute früh zum Fischen vor der jamaikanischen Küste, als er beobachtete, wie jemand aus einem Flugzeug fiel. Er war binnen weniger Minuten bei der Leiche – einer jungen weißen Frau. Das Flugzeug drehte nach Osten ab und verschwand. Die Frau hatte eine Tätowierung im Gesicht – einen Totenkopf mit Zylinder.«
»Baron Samedi«, flüsterte Sherry schockiert.
»Ja«, bestätigte Dantzler. »Nennen Sie's, wie Sie wollen -Zufall oder Vorsehung –, aber dieser Inspektor war letztes Jahr auf einer Polizeikonferenz, wo ich über das Thema Menschenhandel gesprochen habe. Er kannte die Geschichte von dem bulgarischen Informanten, die ich Ihnen erzählt habe – über die tätowierten Frauen, die vermutlich nach Südamerika verkauft werden.«
Sherry lehnte sich in ihrem Sessel zurück, während sie den Gedanken für sich weiterspann. »Dann hat er Sie angerufen und gefragt, was er tun soll – und Sie konnten ihm nicht erzählen, was vor einer Woche in Haiti passiert ist, weil Ihre Informationsquelle World Freedom ist.«
Dantzler gab einen zustimmenden Laut von sich. »Ja, zumindest vorläufig. Sie müssen verstehen, Miss Moore, dass Interpol sehr auf vertrauliche Informationen angewiesen ist. Die Verbindung zwischen Interpol und Madame Esme ist sehr alt und sehr heikel. Da steht mehr auf dem Spiel, als man auf den ersten Blick sieht.«
»Das glaube ich schon«, räumte Sherry ein, »aber mir haben Sie es trotzdem erzählt.«
»Deshalb war es mir auch so wichtig, zu wissen, dass ich Ihnen vertrauen kann, Miss Moore. Bevor ich Ihrem Wunsch nachkommen konnte, den mir Mr. Graham übermittelt hat – dass ich Sie anrufe –, habe ich versucht, möglichst viel über Sie zu erfahren. Offen gestanden war ich überrascht über das, was ich da gelesen habe. Noch überraschter war ich, als ich mich umzuhören begann. Und ich kann mir sogar vorstellen, dass es tatsächlich Dinge auf dieser Welt gibt, die man nicht einordnen oder erklären kann. Am Ende war es aber Graham, der mich überzeugt hat. Graham sagt, dass Admiral Brigham völlig von Ihren Fähigkeiten überzeugt ist. Und Graham meint auch, dass man das ernst nehmen muss, wenn der Admiral es sagt. Darum möchte ich Sie ersuchen, uns zu helfen, einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Vorfall in Jamaika und dem Geschehen in Haiti zu suchen. Ich soll Ihnen nur Madame Esmes Wunsch übermitteln, dass Sie das, was ich Ihnen heute gesagt habe, mit äußerster Diskretion behandeln.«
»Sie haben mein Wort, Mr. Dantzler, aber erzählen Sie mir bitte etwas mehr über Bulgarien. Was genau haben Sie von dort erfahren?«
»Also, kurz gesagt, der bulgarische Informant hat behauptet, dass eine große Zahl von Frauen vom Schwarzmeerhafen Burgas nach Südamerika gebracht werden. Er beschrieb den Käufer als einen dunkelhäutigen Mann mit einem weißen Glasauge. Wie ich schon gesagt habe, hat dieser Mann damit geprahlt, dass er die Gesichter der Frauen mit einem Totenkopf tätowieren würde, bevor er sie verkauft.«
»Hat Interpol das Schiff gefunden?«
»Interpol hat ein Schiff gefunden, aber da war die Information schon einige Monate alt. Das Schiff war inzwischen zweimal weiterverkauft worden und lag im Trockendock in Singapur, wo es für den Kohletransport umgerüstet wurde. Die vorhandenen Unterlagen waren genauso nutzlos wie die Informationen über die Schiffseigner, eine Anwaltskanzlei in Liberia.«
»Dann wollen Sie also, dass ich nach Jamaika gehe und mir die Leiche ansehe, die aus dem Flugzeug geworfen wurde, damit ich Ihnen sagen kann, ob die Frau zuletzt an den Ort gedacht hat, wo man sie festgehalten hat.«
»Das Flugzeug hatte keinerlei Kennzeichen, Miss Moore. Es wird nie einen anderen Weg geben, um zu erfahren, ob diese Frau wirklich aus Haiti kam.«
»Was passiert jetzt gerade in Jamaika – wegen der Toten, meine ich?«
»Der Polizeiinspektor, der sie gefunden hat, ist sehr diskret vorgegangen. Er hat einen Bericht an das Ministerium verfasst, wonach das Opfer wahrscheinlich ertrunken sei. Und er hat die Küstenwache losgeschickt, damit sie sich
Weitere Kostenlose Bücher