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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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sie sich zu dem Anruf entschloss. Nie zuvor hatte sie Brigham gebeten, sie auf eine ihrer Reisen zu begleiten, aber ihr Freund hatte in den letzten Monaten irgendwie lustlos gewirkt. Sie fragte sich, ob ihm eine kleine Abwechslung nicht gut täte.
    Schließlich nahm sie den Telefonhörer und wählte die Nummer.
    »Hallo?«, meldete er sich knapp.
    »Garland«, sagte sie in heiterem Ton.
    »Sherry«, antwortete er freundlich.
    »Ich habe heute einen Anruf von Interpol bekommen, und ich habe mir gedacht, ich könnte dich vielleicht um einen Gefallen bitten, da du morgen keine Vorlesung hast.«
    »Schieß los«, forderte er sie auf. Sie hörte einen Fernseher im Hintergrund laufen.
    Es war eigentlich gar nicht Brighams Art, tagsüber fernzusehen. Normalerweise trieb er sich irgendwo draußen im Garten herum – auch im Winter –, verbrannte Laub, spielte mit seinem Holzspalter und schleppte mit seinem Rasentraktor Feuerholz hin und her.
    In letzter Zeit schien er sich oft zu langweilen. Das Unterrichten an der Universität schien ihm nicht mehr so viel Spaß zu machen wie früher, und auch sein Donnerstagmorgen-Frühstücksclub bot ihm offenbar nicht genug Abwechslung vom Alltagstrott. Sherry wusste, wie leicht es war, nach außen so zu tun, als wäre alles in Ordnung, während es einem in Wahrheit nicht mehr gut ging. Sie hatte es fast ein Jahr lang geschafft, zu verbergen, wie sehr ihr der Tod ihres Freundes John Payne zugesetzt hatte, bis sie schließlich zusammenbrach.
    »Jamaika«, sagte sie aufgeräumt. »Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht mitkommst.«
    »Eine schöne Insel, solange man sich von den Städten fernhält. Du meinst, wir könnten sonnenbaden? Irgendwo in der Nähe einer Tiki-Bar?«
    Sherry fragte sich, ob ihr Nachbar so früh am Tag schon seinem geliebten Portwein zugesprochen hatte.
    »Ich habe mir das so vorgestellt«, sagte Sherry in heiterem Plauderton. »Wir landen in Kingston, nehmen ein Taxi zum Krankenhaus, ich schau mal kurz ins Leichenhaus rein, und dann fahren wir für eine Nacht auf meine Rechnung nach Ocho Rios.«
    »Klingt toll, kann ich mir's kurz überlegen?«
    Brigham wusste natürlich, dass sie auch ohne ihn fahren würde.
    »Es ist eine Sache, die es wert ist, Garland.«
    »Ich denk drüber nach«, sagte er.
    »Du hast eine halbe Stunde zum Überlegen, und ich rufe schon mal ein Taxi.«
    »Ich bin dabei«, sagte er abrupt.
    »Das will ich auch hoffen«, versetzte sie. »Und – Garland?«
    »Ja, Sherry?«
    »Danke, dass du immer da bist.«
    Sherry legte den Hörer auf und saß still da. Sie wünschte niemandem das, was sie letzten Winter durchgemacht hatte; es war das dunkelste Kapitel ihres Lebens – eine Depression, die sie fast umgebracht hätte. Es war Brigham, der sie gerettet hatte. Der ihr buchstäblich das Leben gerettet hatte.
    Sie würde von jetzt an ein Auge auf ihn haben. Wenn er in ein Tief schlittern sollte und etwas Ablenkung brauchte, dann würde sie jedenfalls nicht tatenlos zusehen. Wenn es sein musste, würde dieses Mal sie ihn retten.

16
    Santo Domingo, Dominikanische Republik
    Die Sonne ging über dem Strand von Boca Chica unter. Carol Bishop saß mit überkreuzten Beinen da und malte Kreise in den feuchten Sand. Robert, ihr Ehemann, war in Colorado Springs – das hatte zumindest ihre Tochter Theresa gestern Abend am Telefon gesagt. Bob war mehr und mehr unterwegs, obwohl er als Direktor der Firma leicht in seinem Büro in Chicago hätte bleiben können.
    Er arbeitete sich zu Tode, dachte sie. Er bürdete sich immer mehr Arbeit auf, anstatt jetzt, wo er es sich leisten konnte, zurückzuschalten. Er gab das Leben auf, für das sie so hart gearbeitet hatten. Sie dachte an ihr Haus in Oak Park, ihr Traumhaus mit dem leeren pinkfarbenen Zimmer, in dem ihre jüngere Tochter geschlafen hatte. Sie wusste, es würde nicht lange dauern, bis er auch sie aufgab. Sie war seit einem Monat nicht mehr in den Staaten gewesen. Nicht dass sie irgendetwas hätte tun können. Aber Jill war irgendwo auf dieser Insel – und sie konnte sie einfach nicht hier zurücklassen. Das Familienleben, das für die Bishops immer im Mittelpunkt gestanden hatte, löste sich vor ihren Augen auf.
    Aus dem Radio tönte Salsamusik über den heißen Strand. Irgendwo im Hintergrund hörte man von einem anderen Sender die Nachrichten und Wettervorhersage aus dem nahen Jamaika.
    Carol war braun gebrannt nach einem Sommer in der heißen karibischen Sonne. Ihre Finger- und Zehennägel, sonst

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