Blinde Angst
Verhandlungen die Freilassung von Madame Esmes Gesandtem erwirken.
»Ich brauche nicht zu erwähnen, dass die Statuten von World Freedom es der Organisation verbieten, sich in kriminelle Machenschaften einzumischen. Das haben Sie sicher alles schon von Madame Esme gehört, aber ich muss es noch einmal wiederholen.«
»Ich werde Ihr Geheimnis bewahren«, versicherte Sherry, »und das von Madame Esme ebenso.« Sherry musste zugeben, dass sie diese Frau bewunderte – ob es nun stimmte, was man alles über sie hörte, oder nicht. Sie war angeblich imstande, ganze Regierungen dazu zu bringen, das zu tun, was sie wollte. Wo Madame Esme ihre Hand im Spiel hatte, schien plötzlich alles wie von allein zu passieren. Vielleicht war es Zufall, vielleicht lag es an der Raffinesse, mit der sie ihre Anliegen verfolgte – aber bei Madame Esme musste man mit allem rechnen.
»Was ist vor einer Woche passiert?«, fragte Sherry.
»Eine Entwicklungshelferin von World Freedom in Haiti freundete sich mit einem Mädchen aus dem Dorf Tiburon an. Der Vater des Mädchens war Sprengexperte bei Reynolds Metals, bevor die Firma im Jahr 2000 von dort wegging. Danach zog der Mann mit seiner Familie aus der Stadt und begann freiberuflich zu arbeiten. Es gibt immer noch ein paar wohlhabende Leute in Haiti, und auch die Regierung führt mit ausländischer Hilfe immer wieder Bauprojekte durch.
Nun, jedenfalls hörte das Mädchen mit, wie ihr Vater zu ihrer Mutter sagte, dass er im Keller eines Hauses gearbeitet hätte, wo Frauen in einer Zelle eingesperrt wären. Das Mädchen wusste nicht, wo er arbeitete, aber das Dorf Tiburon liegt an der äußersten Westküste von Haiti, also nehmen wir an, dass es in dieser Region war. Der Vater erzählte seiner Frau, dass die Frauen in der Zelle eine Tätowierung von Baron Samedi im Gesicht hätten. Samedi ist ein religiöses Symbol in Haiti, der Hüter der Unterwelt. Er wird durch einen grinsenden Totenkopf mit Zylinder dargestellt.«
»Ahhh«, stieß Sherry bestürzt hervor und ließ sich tiefer in ihren Sessel sinken, als ihr die Bilder vom Denali wieder in den Sinn kamen.
»Zwei Tage später wurde der Vater des Mädchens vor seinem Haus tot aus einem Auto geworfen. Sie hatten ihn erschossen und ihm einen Bleistift und Papier in den Mund gestopft. Er hatte außerdem eine Puppe an die Brust geheftet.«
Sherry hörte im Hintergrund ein Telefon klingeln.
Dantzler entschuldigte sich und schloss eine Tür.
»Es gibt wenige Geheimnisse in Haiti, Miss Moore. Nur die Reichen können sich Geheimnisse leisten. Das Papier und der Bleistift im Mund des Mannes – das war eine Warnung an alle im Dorf, denen der Mann vielleicht etwas erzählt hatte. Das galt vor allem für seine Familie.«
»Weiß seine Frau, für wen er gearbeitet hat?«
»Wenn sie es wüsste, würde sie es jedenfalls niemandem verraten.«
»Aber könnte es mit dem Drogenkartell zu tun haben -mit den Mendozas?«
»Die Kartelle haben viele Wege, wie sie ihre Ware auf der Welt verbreiten. Länder wie Haiti sind deshalb wichtig für sie, weil die Häfen und Flughäfen dort offen für die Händler sind. Haitis Führungsschicht profitiert ja selbst vom Kokain. Wenn zu viele Löcher im Deich sind, lassen sie sich nicht mehr stopfen, und genau so ist die Situation auch beim Menschenhandel. Die Grenzen Südamerikas sind sehr lang. Wir wissen, dass viele europäische Frauen in Brasilien landen, aber niemand kann eine Küste kontrollieren, die doppelt so lang ist wie die Strecke zwischen New York und Miami. Schmuggel gibt es in der Karibik schon seit Jahrhunderten. Mit Booten oder Flugzeugen kommt man auch heute noch sehr einfach nach Südamerika; dort warten Lastwagen, die die verschleppten Frauen nach Brasilien bringen. Haiti ist da so eine Art Zentrum, von wo aus die Operationen laufen. Damit werden alle Zollkontrollen in den Seehäfen Südamerikas nutzlos. Kurz gesagt, es ist durchaus möglich, dass die Mendozas damit zu tun haben, aber diese Frauen, von denen Sie sagen, dass Sie sie gesehen haben, waren wahrscheinlich in Haiti.«
»Was ist mit der Polizei in Haiti?«
»Sie haben sich den Toten angesehen und sind wieder gegangen. Für sie war das nur ein Toter mehr im Drogenhandel. Die Polizei in Haiti ist oft korrupt und verfolgt vor allem ihre eigenen Interessen. Wenn für sie nichts dabei herausspringt, halten sie sich aus Privatangelegenheiten heraus.«
»Dann war es Madame Esme, die Sie angerufen hat?«
»Ja, und wir haben uns
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