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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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Statue.«
    »Ein Bild?«
    Der alte Mann neigte den Kopf auf die Seite, so als bemühe er sich, etwas zu hören. »Pioche sieht ein Bild. Einen Mann vor einer Statue«, sagte er langsam.
    Die Frau sah ihn verwirrt an. Das einzige Bild von einer Statue, das sie kannte, war das von Pioches Vater Arnaud. Es war eine Statue von Christoph Kolumbus, und sie hatte im Hafen von Port-au-Prince gestanden, bis sie 1987 von einem aufgebrachten Mob niedergerissen und ins Wasser geworfen wurde. Aber warum sollte sich ihr toter Ehemann für ein Bild interessieren? Warum jetzt?
    Die Frau im Trainingsanzug sah den Alten hilflos an. »Wer hat das getan? Wer hat meinen Mann getötet? Warum haben sie auch noch seine Leiche geschändet?«
    »Die weiße Frau, sie ruft ihn. Sie ist in einem Käfig. Will, dass er eine Botschaft für sie übergibt. Will, dass er ihr fliehen hilft. Pioche will helfen. Die Frau mit Baron Samedis Zeichen auf dem Gesicht.«
    Der alte Hungan zog die Hand zurück, mit der er dem Toten über den Bauch gestrichen hatte, und streckte sie aus.
    »Pioche gibt der Frau etwas, aber dann kommt der einäugige Mann, er sieht ihn«, schrie der Hungan plötzlich mit schriller Stimme, »lauf, lauf!« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Aber Pioche läuft nicht. Er sagt, lass die Frau frei, aber der einäugige Mann zieht die Pistole, und Pioche stirbt.«
    Der Priester schüttelte den Kopf heftiger, und seine Augen weiteten sich; er drückte die Hand des Toten noch fester und sprach mit Tränen in den Augen: »Jetzt sieht Pioche ein junges Mädchen, das Kind mit der langen weißen Haarnadel. Sie steht vor einer blauen Hütte, mit Ziegeln rundherum auf dem Boden.«
    »Das ist unsere Tochter Yousy«, warf die Frau im Trainingsanzug ein.
    Die Frau begann zu heulen, doch der Alte hob plötzlich einen Finger ans Ohr. »Schscht!«, sagte er, um sie zum Schweigen zu bringen, dann nahm er sie am Arm und zeigte über das Feuer. »Pioche will mit dir sprechen!«, rief er. »Pioche ist hier!«
    Eine der Hunsis erstarrte mitten im Tanz und hielt sich den Bauch, genau an der Stelle, wo Pioche getroffen worden war. Im nächsten Augenblick taumelte sie ein paar Schritte nach vorn und zeigte direkt vor Pioches Witwe auf den Boden.
    Die Witwe blickte auf, und Tränen liefen ihr über die Wangen und in den Kragen ihres Trainingsanzugs.
    »Ich warte bei Papa Ghede an der Kreuzung zur Ewigkeit.« Die Stimme der Hunsi war tief und klang ein wenig wie die Stimme ihres Mannes Pioche geklungen hatte, bevor sie ihn erschossen und vor ihrem Haus auf die Straße geworfen hatten. Pioches Witwe sah zum Geist ihres Mannes auf, und sie sah Pioches Augen, die sie anblickten.
    »Was meinst du mit diesem Bild, Pioche? Was willst du mir über deinen Vater Amaud sagen?«, rief sie der Hunsi zu.
    »Ich warte bei der Kreuzung.« Die Frau drohte ihr mit dem Finger. »Ich warte bei Papa Ghede.«
    Der Voodoo-Priester nahm einen Stoffbeutel und streute etwas Salz auf den Bauch des Toten. Dann breitete er seine dürren Arme aus und stand auf. »Aus für heute«, sagte er.
    »Was will er?« Die Witwe stand auf, wischte sich den Staub von ihrem Trainingsanzug und lief los, um mit dem alten Hungan Schritt zu halten. »Was bedeutet das?«
    Der alte Mann drehte sich um. »Wo ist das Bild mit der Statue?«
    »Über unserem Bett. Pioches Vater, aber er ist schon lange tot«, antwortete die Witwe.
    »Pioche will, dass du es ansiehst«, erklärte der Hungan, schüttelte den Kopf und ging weiter. »Schau hinter das Bild und sag niemandem, was du findest, nicht für ein Jahr und einen Tag, sonst wirst du es verlieren.«
    Er drehte sich um und sah sie an.
    »Pioche wird noch vier Nächte zurückkommen, aber dann muss er die Reise mit Papa Ghede machen.«
    Er streckte eine zitternde Hand aus, und der ferne Lichtschein des Feuers spiegelte sich in seinen leeren Augen.
    Die Witwe fischte etwas Geld aus einem alten Taschentuch und drückte es dem Mann in die Hand; dann putzte sie sich laut die Nase und steckte das Taschentuch wieder ein. »Danke«, sagte sie und drückte dem alten Mann die Hand. »Danke.«
    Wilde Hunde streunten zwischen den Hütten herum, die am Weg standen. Es roch nach toten Tieren, nach Schweiß und nach Old Spice, das jemand dem Hungan für eine Medizin gegeben hatte. Der alte Mann schlurfte den staubigen Weg entlang zu einer klapprigen Hütte. Pioches Witwe ging in die entgegengesetzte Richtung, einen steilen Hügel hinunter zu einer schmalen Erdstraße.
    Ein

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