Blinde Angst
engsten Mitarbeitern, solange nicht das ganze Schloss gründlich nach Abhörvorrichtungen durchsucht war. Man konnte nicht wissen, ob nicht jemand vom Personal irgendwo ein kleines Geschenk von irgendeinem Geheimdienst platziert hatte, der nun über einen Spionagesatelliten oder von einem Fischdampfer aus mithörte, was hier drin vor sich ging. Man konnte sich heute einfach nicht mehr sicher sein, aus welchen Motiven jemand dies oder jenes machte. Nicht in Haiti. Es war eine Welt, in der jeder ein potenzieller Feind war.
Vielleicht war der Vorfall mit Jill Bishop über dem Meer einfach nur ein Unfall gewesen. Vielleicht hatte niemand die Absicht gehabt, die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Vielleicht war er einfach nur paranoid in seiner Angst, dass ihm die Amerikaner schon auf den Fersen waren.
Sie hatten schon vor Monaten auf seinem Ansitz in Kolumbien über die Situation beraten. Thiago Mendoza lag damals tot in seinem Sarg in Barranquilla, und das Kartell machte Mendozas Sohn Sergio mit der Organisation vertraut. Es gab keinen Grund zur Annahme, dass Bedards Operationen im vergangenen Jahr mehr in den Blickpunkt der Polizei gerückt waren. Seine Frachtschiffe wurden weltweit nicht häufiger inspiziert als sonst. Und es deutete auch nichts darauf hin, dass es in den eigenen Reihen Verräter geben könnte – eine Tatsache, für die gewiss sein Sicherheitschef Matteo und seine Leute verantwortlich waren, alles ehemalige Angehörige der kompromisslosen Tonton Macoutes. Doch es gab Spannungen in Kolumbien nach Thiago Mendozas Tod, und Bedard ließ das Schloss zweimal durchsuchen, bevor Thiagos Sohn Sergio einen Fuß auf haitianischen Boden setzte. Der junge Mann hatte auch diesen Bereich der Geschäfte seines Vaters sehen wollen. Er wollte sich ein Bild davon machen, wie der Handel mit den Frauen aus Osteuropa genau vor sich ging.
Und Bedard wollte sichergehen, dass Mendozas Konkurrenten in Kolumbien die Situation nicht zu ihren Gunsten ausnutzten. Er wollte Mendozas Feinden auf keinen Fall eine Gelegenheit bieten, einen der reichsten Männer der Welt während seines Besuchs in Haiti zu töten.
Eine Stahltür ging auf, und Bedard trat ein. Trotz seines Alters vermochte Bedard immer noch Furcht einzuflößen, wenn er einen Raum betrat.
Er trug nach wie vor die schwarzen Kleider der Tonton Macoutes und einen Colt Kaliber .45 mit Perlmuttgriff an der Hüfte. Er nahm die dunkle Sonnenbrille ab, die so lange ein Markenzeichen der Macoutes war; es stimmte tatsächlich, dass Papa Doc von seinen Geheimpolizisten wollte, dass sie Tag und Nacht die Sonnenbrille trugen, um den Gerüchten Nahrung zu geben, sie wären Tote, die als Zombies zum Leben erweckt wären, und dass ihre Augen hinter den dunklen Brillen tot wären.
Bedard legte die Sonnenbrille auf den Tisch. Er wollte, dass ihm diese Männer in die Augen sahen. Er wollte, dass sie seinen Zorn sahen. Seine dunklen Hände zitterten vor Wut. Die blasse Narbe auf seiner Wange schob sich vor und zurück, als er mehrmals die Zähne zusammenbiss.
Bedards Leibwächter Matteo zog die Tür hinter ihm zu. Der großgewachsene Kommandant blickte mit seinem einen braunen Auge drohend auf sie herunter. Sein weißes Glasauge blieb unbewegt. Schließlich setzte er sich ans Kopfende des Tisches. Der süßliche Geruch seines Rasierwassers verbreitete sich im Raum.
Dem rundlichen Mann im mittleren Alter, der ihm am nächsten saß, troff der Schweiß von der Stirn und in den Hemdkragen. Er war nervös, und Bedards Geruch verursachte ihm Übelkeit. Er hoffte nur, dass er sich nicht übergeben musste, griff nach dem Wasserkrug, überlegte es sich aber im letzten Moment anders und legte die Hände in den Schoß. Wenn er jetzt trank, hätte Bedard das vielleicht so verstanden, dass ihn nichts bedrückte und er sich rundum wohlfühlte, und an diesem Abend fühlte sich Philippe alles andere als wohl in seiner Haut.
Ein Plasmafernseher an der Wand leuchtete auf und zeigte eine aufgenommene Nachrichtensendung, in der ein Reporter vor einem alten Backsteingebäude in den Straßen von Kingston, Jamaika, stand.
Matteo stellte mit der Fernbedienung den Ton lauter. »... wie aus Polizeikreisen verlautet, wurde heute früh die Leiche einer jungen weißen Frau aus dem Jamaica Channel geborgen. Die jamaikanische Küstenwache sucht die Gegend nach Spuren eines Bootsunfalls ab. Die Polizei hat angekündigt, ein Foto der Toten zu veröffentlichen. Inzwischen wird Scotland Yard die Ermittlungen im
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