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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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seines Vaters herunternahm und im Schoß hielt. Sie störte ihn nicht in solchen Momenten; sie saß selbst oft nachts vor dem Bild ihrer Mutter, wenn ihr Mann und ihre Tochter schliefen. Jetzt musste sie sich allerdings fragen, ob es mit dem Bild noch etwas anderes auf sich hatte.
    Etienne setzte sie und ihre Tochter kurz vor Mitternacht bei ihrem Haus ab. Er würde am nächsten Morgen zum Markt in Port-à-Piment fahren, um Kochbananen zu verkaufen. Morgen würde ihre Tochter Yousy mit ihm fahren, um zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters wieder die Jesuitenschule zu besuchen.
    Hettie trat in das dunkle Haus ein und spürte seine Leere. Etwas hatte sich darin verändert.
    Das Bild von Arnaud war nicht besonders gut, ein vergilbtes Polaroidfoto, das an seinem sechzigsten Geburtstag in Port-au-Prince aufgenommen worden war. Arnaud hatte als Hausgehilfe bei einer reichen kanadischen Familie gearbeitet. Er war bei Unruhen durch eine verirrte Kugel ums Leben gekommen – in dem Jahr, aus dem das Foto stammte. Der viel zu breite Rahmen war grob aus Bambus und Glas gezimmert. An der Rückplatte aus Pappe war ein Stück alter Stoff befestigt. Ihr fiel auf, wie dick der Stoff zwischen Glas und Pappe war; er sah aus, als würden darin noch fünfzig Bilder von Amaud stecken.
    Doch es waren keine Bilder, die sie darin fand. Es war Geld. Fast fünftausend Dollar. Pioche war reich gewesen! Sie war reich!
    Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster auf den dunkelvioletten Himmel hinaus. Die Nacht war dunkler, als sie es aus ihrer Kindheit in Erinnerung hatte. Die Armen waren heute so arm, dass sie nicht einmal mehr Brennholz zum Heizen hatten. Die Bäume, auch die Obstbäume, waren für ein paar mickrige Dollar abgeholzt worden.
    Die Reichen in den Bergen besaßen hingegen Generateren, die groß genug waren, um ein ganzes Dorf mit Strom zu versorgen. So war Haiti nun einmal – ein Land voller Gegensätze. Einer von achtzigtausend Menschen lebte in Luxus, was ohnehin schon ungerecht genug schien – doch die Reichen nahmen sich auch noch das Recht heraus, die Armen umzubringen, wenn sie ihnen im Weg waren.
    Pioche hätte nicht sterben müssen. Er hatte all die Jahre auf einem Vermögen gesessen. Warum hatte er so hart gearbeitet und in so ärmlichen Verhältnissen gelebt, wo sie doch nach Les Cayes ziehen und es sich hätten gut gehen lassen können?
    Sie sah sich in dem kleinen Haus um. Ihr Blick fiel auf das Bild von Präsident Préval, das an einem Platz an der Wand hing, wo man es gut sehen konnte. Das Bild war aus der Titelseite des National Catholic Reporter ausgeschnitten, den Yousy vom Markt in Port-à-Piment mitgebracht hatte.
    Sie drehte das Bild von Amaud um und steckte das Geld wieder hinein. Dann legte sie es aufs Bett und setzte sich daneben.
    Hier war schon ihre Mutter zu Hause gewesen; das Haus war immer wieder von Orkanen zerstört und von Fischern wieder aufgebaut worden, die das Dorf neu gestalteten, seit die Sklaven gegen Napoleon ihre Freiheit behaupteten. Die Erinnerungen dieser Fischer, die ihrer Mutter und ihre eigenen waren stets eine Mischung aus Freude und Leid. Haiti war großartig und grausam zugleich, und seine Menschen ebenso. Auf einem umgedrehten Eimer lag ein Stapel von Yousys Schulbüchern. An der Wand, wo ihre Tochter schlief, hing ein Plakat von der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID. Yousy träumte davon, eines Tages an einer amerikanischen Universität studieren zu können, seit sie die Jesuitenschule in Port-à-Piment besuchte. USAID vergab Stipendien an haitianische Jugendliche, die gerade sechzehnjahre alt geworden waren.
    Hettie betrachtete das Plakat, bis sie nichts mehr sah vor lauter Tränen. Dann lächelte sie.
    Pioche hatte an Yousy gedacht.
    Er hatte das Geld gespart, um Yousy nach Amerika schicken zu können.

18
    Contestus, Haiti
    Es gab an diesem Abend zwei Besprechungen in Contestus, und das Personal war sichtlich nervös. Männer mit fremd klingenden Akzenten streiften den ganzen Nachmittag durch die Anlage, um einen Raum nach dem anderen nach Abhörgeräten abzusuchen. Manche hatten sich Laptops umgehängt, andere suchten mit Detektoren Lüftungsschächte, Steckdosen, Lampen und Telefone ab. Eine dritte Gruppe durchkämmte das Gelände mit tragbaren Mikrowellen-Empfängern.
    Es gab vieles, was Bedard Sorgen bereitete. Er hatte immer mehr das Gefühl, dass er schon zu lange hier in Contestus war.
    Er sprach mit niemandem über seine Pläne, nicht einmal mit seinen

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