Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Zunge, »und würde meinen Laden heute noch betreiben …«
»Wenn diese verfluchten Aldis, Lidls und Schleckers dir nicht das Wasser abgegraben hätten«, vollendete Schwarz ihren Satz.
Sie schaute ihn traurig an. »Ich langweile dich.«
»Überhaupt nicht, Mama.«
»Du kennst alle meine Geschichten.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Die Geschichte von der Konditorei meines Vaters in Karlsbad?«
»Die natürlich schon.«
»Und dass ich hier mit einem einzigen Sack Kartoffeln angefangen habe?«
»Du hast einen Teil mit Wurzelsud eingefärbt, damit es aussah, als hättest du zwei Sorten.«
»Und die legendären Kirwa-Feste von der Gmoi?«
»Mit den vielen kleinen Egerländern neun Monate später, freilich.«
Sie seufzte. »Wenn alle Geschichten erzählt sind, wird es Zeit zu gehen.«
»Das täte dir so passen.«
»Was weißt du denn noch nicht?«
»Von meinem Vater zum Beispiel weiß ich fast gar nichts.«
»Der war langweilig.«
»Hast du ihn nie geliebt?«
»Nur körperlich und nur ein paar Wochen lang. Aber ich bin ihm dankbar dafür, dass er mich so schnell sitzen lassen hat. Sonst hätte ich vielleicht nie begriffen, dass eine Frau auch ohne Mann glücklich sein kann.«
Sie schraubte die nächste Flasche Eierlikör auf, als Schwarz’ Handy klingelte. »Ja? Herr Loewi, was gibt’s?«
Hildegard verzog das Gesicht und stellte die Flasche absichtlich laut auf den Tisch.
»Was hat das mit unserem Fall zu tun?« Schwarz horchte zunehmend besorgt. »Verstehe. Könnten Sie mich an der Donnersbergerbrücke abholen? Ich rufe Sie an, sobald ich in der S-Bahn sitze.« Er legte auf.
»Ich mag es nicht, wenn du in meiner Anwesenheit Geschäfte machst«, sagte seine Mutter.
»Tut mir leid, Mama. Ein Auftraggeber. Ein Onkel von ihm kennt dich übrigens.«
»Wie heißt der denn?«
»Loewi, hast du nicht gehört?«
»Löwe?«
»Loe-wi. Jüdisch.«
Seine Mutter starrte ihn an. »Ich kenne keine Juden.«
Ihr Ton irritierte Schwarz, aber er hatte es eilig. »Na ja, vielleicht heißt der Onkel auch anders.« Er erhob sich und merkte, dass er leicht schwankte. Der verdammte Eierlikör.
»Lass die Finger von der Geschichte, Anton.«
»Was? Du weißt doch gar nicht, um was es geht.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass es sehr gefährlich für dich werden kann!«
»Mama, es ist ein Fall wie jeder andere.«
»Nein«, sagte sie.
Schwarz verstand nicht, was mit seiner Mutter los war. Sie hatte ihm bei Ermittlungen dank ihrer Lebenserfahrung und eigenwilligen Weltsicht oft wertvolle Anregungen gegeben, aber nie versucht, sich einzumischen.
Sie schenkte sich noch ein Gläschen ein. »Aber wenn du unbedingt in dein Unglück rennen willst, bitte sehr.«
Schwarz küsste sie zum Abschied auf die Stirn. »Mach dir keine Sorgen, Mama.«
Sie zuckte die Schultern. »Ich möchte nur nicht erleben, dass du vor mir stirbst.«
17.
Vielleicht war es nur die schlechte Verbindung gewesen, aber Schwarz hatte den Eindruck gehabt, dass Loewis Stimme zitterte. »Im Westend steht ein Haus in Flammen. Vermutlich Brandstiftung.«
»Was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Es ist die Adresse der Familie Celik. Murat Celik und sein Bruder Erdal waren es, die Tim Burger damals überwältigt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten haben.«
Die S-Bahn hielt auf offener Strecke. Über den Feldern hingen tiefe Wolken. Wie Rauch, dachte Schwarz und erinnerte sich an ein verheerendes Feuer zu Beginn seines Polizeidienstes, an das über den Helfern einstürzende Dachgebälk, vor allem aber an eine verwirrte alte Frau im weißen Nachthemd, die sich bekreuzigt hatte, um dann neben das gespannte Sprungtuch zu springen. Sie war vor seinen Augen auf dem Asphalt gestorben.
Schwarz lief die Treppen vom Bahnsteig zur Brücke hoch. Loewi blockierte mit seinem schwarzen Volvo Kombi den hupenden und bedrohlich nah auffahrenden Linienbus und war froh, als der Ermittler endlich neben ihm saß und er Gas geben konnte.
»Wie haben Sie von dem Feuer erfahren, Herr Loewi?«
»Durch die Regionalnachrichten im Fernsehen. Ich habe das Haus erkannt.«
»Hatten Sie Kontakt mit der Familie Celik?«
»Ich habe sie einmal besucht, um mich für ihre Zivilcourage zu bedanken.«
Den Rest der kurzen Strecke zur Gollierstraße fuhren sie schweigend. Da die Zufahrt zum Haus durch Streifenwagen und Fahrzeuge der Feuerwehr blockiert war, ließen sie denWagen stehen und gingen zu Fuß weiter. Beißender Brandgeruch schlug ihnen entgegen. Das
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