Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
gerade ziemlich destruktiv.«
Destruktiv ist gar kein Ausdruck, dachte Schwarz, saugrantig bin ich. Kein Wunder, wenn ich erst so viel Eierlikör saufe und dann schlagartig nüchtern sein muss. »Lassen Sie uns morgen weiterreden, Herr Loewi.«
»Einverstanden.«
Sosehr Schwarz sich nach seinem Bett gesehnt hatte, er fand keinen Schlaf. Er warf sich unruhig hin und her, wachte von jedem Hupen auf oder schreckte hoch, weil er meinte, jemand habe ihn gerufen. Als Kriminalbeamter war er ständig mit grausamen Bildern von Verletzten und Toten konfrontiert gewesen. So richtig gewöhnt hatte er sich daran nie. Und auch jetzt ging ihm das Bild des verbrannten Mädchens nicht aus dem Kopf.
Aber versetzte ihn nur die Erinnerung an ihren Anblick in solche Unruhe?
Um vier Uhr morgens gab Schwarz seine verzweifelten Bemühungen einzuschlafen endgültig auf. Er trat mit einer Tasse Earl Grey ans Fenster und blickte auf die Straße. Auf der Landsberger waren außer ein paar einsamen Heimkehrern aus den Nachtclubs nur die Männer der Straßenreinigung unterwegs. Schwarz’ Augen brannten, er hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Plötzlich wusste er, was ihn so aufwühlte.
Falls Loewis Informationen stimmten, dass Tim Burger im Knast wirklich zu den militanten Rechten gestoßen war und der Brand im Westend auf das Konto von dessen Kameradschaft ging, war dies womöglich nur der Anfang. Ein Anschlag auf eine türkische Familie würde in der Neonazi-Szene –so widerlich die Vorstellung war – sicher bejubelt werden. Aber gaben die Täter sich damit zufrieden? Oder gehörten sie zu jenen Verrückten, die mit Mord und Totschlag ihre gespenstische Vision eines
national befreiten Deutschlands
durchsetzen wollten?
Welche Rolle spielte Burger in der ominösen Kameradschaft? Galt er nur als Märtyrer oder steuerte er womöglich sogar aus dem Knast heraus ihre Aktionen?
Ich muss mir unbedingt selbst ein Bild machen, dachte Schwarz. Erst wenn ich Tim Burger in die Augen sehe, weiß ich, wie gefährlich er wirklich ist.
Schwarz kannte das Gefängnis, in dem der Häftling einsaß, aus seiner Zeit bei der Kripo. Er war dort häufiger zu Vernehmungen gewesen. Bause, der Leiter, und er waren sich immer herzlich unsympathisch gewesen, hatten sich als Profis in ihrem jeweiligen Job aber respektiert. Schwarz war neugierig, wie viel von diesem Respekt nach seinem Rauswurf bei der Polizei noch übrig war.
Er wartete bis neun, dann griff er zum Telefon. Bauses Sekretärin stellte ihn sofort durch – ein gutes Zeichen.
»Herr Schwarz, wie geht es Ihnen?«
»Danke, nicht schlecht.«
»Ich höre, Sie sind jetzt erfolgreicher Privatermittler. Kompliment. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern mit Tim Burger reden.«
Am anderen Ende der Leitung wurde es still. »Verraten Sie mir, warum?«
»Das kann ich nicht.«
Bause schwieg jetzt ziemlich lange. »Meinen Sie, er will überhaupt mit Ihnen sprechen?«
»Es kommt auf den Versuch an. Verraten Sie mir, ob Tim Burger Kontakt mit Linda Heintl hat?«
»Nein.«
»Keinen Kontakt?«
»Ich meine, ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Dann richten Sie ihm doch bitte aus, ich hätte ein sehr interessantes Gespräch mit Frau Heintl gehabt, das ich gern mit ihm fortsetzen würde.«
»Bei solchen Spielchen mache ich nicht mit.«
»Sie sollen Burger nur etwas ausrichten.«
Bause seufzte. »Geben Sie mir Ihre Handynummer, Herr Schwarz.«
Eine Stunde später teilte Bause ihm mit, dass Tim Burger zu einem Gespräch bereit sei.
Schwarz brach bereits am selben Nachmittag zu dem etwa achtzig Kilometer von München entfernten Gefängnis auf. Er fuhr mit seinem roten Alfa 146, der häufig Anlass zu Diskussionen gab. Eigentlich kannte Schwarz niemanden, der ihm nicht zum Verkauf des Kleinwagens riet. Luisa bezeichnete ihn als Aufreißerkarre für Arme, seine Frau als Midlifecrisis auf vier Rädern, und die Exkollegen fanden ihn schlicht zu auffällig für einen Ermittler. Schwarz, der ein eher verhaltener Fahrer war, liebte seinen alten Alfa trotzdem. Da dieser bereits bei harmlosen Geschwindigkeiten laut zu scheppern anfing, hatte er immer das Gefühl, rasant unterwegs zu sein.
Nach knapp neunzig Minuten kam Schwarz an. Das Gefängnis war früher mal ein Kloster gewesen, und er hatte sich schon häufiger gefragt, ob die Lage inmitten von Hügeln und Wäldern irgendeinen positiven Einfluss auf die Häftlinge habe. Allerdings kamen nur die Freigänger in den Genuss der
Weitere Kostenlose Bücher