Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Schwarz.
Sie lachten.
»Also, was ist mit meiner Mutter?«
»Sie hat mir drei Mal auf die Mailbox gesprochen. Ich soll dich unbedingt dazu bringen, deinen aktuellen Auftrag zu kündigen.«
»Hat sie irgendeinen Grund genannt?«
Monika schüttelte den Kopf. »Als ich sie zurückgerufen habe, hat sie geweint.«
»Meine Mutter? Sie weint nie – außer bei Liebesfilmen.«
»Sie sagt, sie hat solche Angst um dich.«
»Angst?« Schwarz schüttelte irritiert den Kopf. Schon als Kind hatte er immer den Eindruck gehabt, seine Mutter halte ihn für unverletzlich. Während andere Mütter sogar in der Sandkiste hinter ihrem Nachwuchs hergerannt waren, um ihn vor den lauernden Gefahren zu warnen, war sie selbst an vierspurigen Schnellstraßen völlig unbekümmert gewesen. Später, als junger Mann, hätte er bei ihr gern ein wenig Angst gespürt, um sie beruhigen zu können. Aber sie machte sich nicht mal Sorgen, als er bei der Kripo Mörder zu jagen begann.
Was soll dir denn passieren, Anton , du bist doch bewaffnet
, war ihr Standardspruch gewesen.
»Begreifst du, was sie plötzlich hat, Monika?«
»Sie sagt, es gibt Dinge, an die man nicht rühren soll.«
Schwarz sah sie fragend an.
»Vielleicht denkt sie, irgendwelche mächtigen Leute würden ihre schützende Hand über Tim Burger halten.«
»Mama hat nie einen Hang zu Verschwörungstheorien gehabt. Oder ist das eine Alterserscheinung? Ich werde sie mal anrufen.«
Monika betrachtete jetzt das Foto, auf dem sie mit Luisabei der großen Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit zu sehen war.
»Über hunderttausend Menschen.«
»Mehr als vierhunderttausend«, korrigierte er. »Ein Wunder, dass nichts passiert ist.«
»Die Nazis haben sich nicht aus ihren Löchern getraut. Weißt du noch, wie glücklich wir waren, als wir gesehen haben, wie viele Menschen unsere Empörung teilen?« Sie berührte das Foto mit den Fingerspitzen. »Wirklich schade, dass du nicht dabei sein konntest, Anton.«
Schwarz trat hinter sie. »Ich war ja dabei. Weil ihr dabei wart.«
Monika drehte sich um und sah ihn stumm an. Dann nahm sie sein Gesicht in die Hände und zog es sanft zu sich heran.
Wie konnte es sein, dass etwas so Vertrautes sich anfühlte, als wäre es das erste Mal?
»Was …?«, keuchte Schwarz, als sie sich kurz zum Luftholen trennten.
»Nicht reden«, flüsterte Monika und zog ihn aufs Bett.
Er spürte ihre tastende Hand in seinen Boxershorts und musste lachen, weil sie ihn nicht gleich fand. »So klein ist er auch wieder nicht. Andere Seite.«
Monika strich mit dem Fingernagel unter seiner Eichel entlang, ganz sanft, hin und her, bis er seufzte. Als er später mit dem Gesicht zwischen ihren Schenkeln lag, traf ihn die Erinnerung mit solcher Wucht, dass ihm Tränen in die Augen traten. Die Gefühle, die er sich in den letzten Jahren aus Selbstschutz kleingeredet hatte – sie waren alle wieder da.
Sie setzte sich auf ihn, um sich und ihn zu erlösen. Schwarz ließ sie keinen Moment aus den Augen, als fürchtete er, sie könnte im letzten Moment verschwinden und sich als Wunschvorstellung erweisen.
Hinterher wollte keiner als Erster sprechen. Sie lagen sich in den Armen und spürten jeder für sich dem nach, was gerade geschehen war.
Als Schwarz Monika etwas zu trinken holte, sah sie ihm hinterher. Er fing ihren Blick auf und entdeckte darin keine Reue.
Er reichte ihr ein Glas Campari Soda und sagte: »Bin ich froh, dass ich so stur war.«
»Du verstehst mich nicht«, sagte sie.
Er schaute sie fragend an.
»Ich wollte nur Gewissheit haben.«
»Worüber?«
»Ob es richtig war, mich von dir zu trennen.«
»Und?«
»War es.«
Er schaute sie ungläubig an.
»Hast du es gerade nicht schön gefunden?«
»Doch, sehr sogar. Und deswegen möchte ich mit dir nie mehr über offene Zahnpastatuben streiten.«
Es dauerte eine Weile, bis Schwarz begriff, was sie ihm damit sagen wollte. Er nahm ihr wortlos das Glas aus der Hand und schleuderte es gegen die Wand. Es verfehlte die Familienfotos nur knapp.
23.
»Ich will nicht mehr von dir träumen, Monika«, murmelte Schwarz benommen und verbarg sein Gesicht im Kissen. Doch dann drangen drei Dinge in sein Bewusstsein. Erstens war Monika gar nicht mehr da, zweitens war es helllichter Tag und drittens klingelte sein Handy.
»Was ist denn um diese Uhrzeit so wichtig?«, blaffte er in den Hörer. »Oh, Herr Loewi, Entschuldigung, ich war beim Frühsport.«
»Kann ich Sie sprechen? In dreißig Minuten
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