Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
kennen lernen werden«, sagteLoewi, »heißt Marco Kessler. Er saß bis vor wenigen Wochen wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis und hat sich eine Zelle mit Tim Burger geteilt. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr hatte er intensive Kontakte zur rechtsradikalen Szene.«
»Wie sind Sie mit ihm in Kontakt gekommen?«
»Er hat sich unmittelbar nach seiner Entlassung bei mir gemeldet.«
Schwarz sah ihn ungläubig an.
»Es gibt da ein Programm,
Aussteigen jetzt
. Es soll jungen Leuten helfen, sich von der Neonazi-Szene zu lösen. Da ich häufig Opfer rechter Gewalt verteidige, komme ich wohl oder übel mit den Tätern in Kontakt. Manchmal nehmen sie meine dezenten Signale wahr.«
»Funktioniert das denn?«
Loewi seufzte. »So ein Ausstieg ist ein komplizierter und manchmal auch gefährlicher Prozess. Ich hoffe sehr, dass Marco es schafft.«
»Wer bezahlt das Programm? Der Staat?«
»Schön wär’s – und eigentlich auch selbstverständlich. Nein, wir arbeiten alle ehrenamtlich und versuchen mit Spenden über die Runden zu kommen.«
Inzwischen waren sie im fünften Stock angelangt. Der Anwalt klopfte an die Tür der neben dem Dachboden gelegenen Wohnung.
Schwarz sah, dass sich hinter dem Späher etwas bewegte.
24.
Ein etwa zwanzigjähriger, mittelgroßer Mann öffnete. Er hatte weder die derben Gesichtszüge noch den kahl geschorenen Schädel der Neonazis, wie man sie aus den Medien kannte. Mit seinem braunen, glatten Haar und dem schmalen, wenig konturierten Gesicht war er eine eher unauffällige Erscheinung.
»Wer ist das?«, fragte er nervös, als er Schwarz bemerkte.
»Ein Mitarbeiter«, sagte Loewi.
»Weiß er Bescheid?«
Loewi nickte.
Marco sperrte die Tür von innen ab. Zwei Mal. Über der Diele lag ein leicht modriger Geruch, der wohl von einem Wasserschaden an der Decke herrührte. In dem Zimmer, in das Marco sie führte, war nichts außer einer Matratze, einem Stuhl und einem Tisch. Es wirkte sauber, nur die Fenster waren länger nicht mehr geputzt worden. Auf dem Holzboden lagen Pizzakartons und leere Flaschen.
Loewi stellte den Karton ab, Marco angelte sich sofort eine Bierbüchse und öffnete sie. »Ich kann nicht mehr«, brach es aus ihm heraus. »Ich muss Leute sehen, sonst drehe ich durch.«
»Das ist zu gefährlich, das wissen Sie doch«, sagte Loewi.
Marco machte eine hilflose Geste. »Ich treffe mich ja nicht mit den Kameraden.«
»Haben Sie über unser Angebot nachgedacht? Es gibt jetzt eine konkrete Stelle für Sie in einer Autowerkstatt in Landshut.«
»Landshut? Was soll ich denn da?«
»Dort wären Sie sicher.«
»Da kenne ich kein Schwein.«
»Das ist momentan auch besser so. Aber langfristig bauenSie sich ein neues Leben auf, mit Kollegen und Freunden.«
»Scheiße.«
Schwarz beobachtete, wie Marco nervös über ein Tattoo an seinem Hals rieb. »Ich würde Sie gern einige Dinge fragen, Herr Kessler.«
Marco musterte ihn. »Sie sind ein Bulle, das rieche ich.«
»Ich war mal einer.«
Marco lachte gezwungen. »Noch ein Aussteiger?«
»Genau. Sie waren in einer Zelle mit Tim Burger?«
Marco zuckte zusammen. »Ich rede nicht über Kameraden.«
»Ehemalige Kameraden«, korrigierte Loewi ihn.
»Scheiße, ja.«
»Ich wüsste gern, was er heute so denkt und was er für Pläne hat«, sagte Schwarz.
»Was für Pläne denn? Er ist im Knast.«
»Er hat Kontakte nach draußen und irgendwann wird er ja auch entlassen.«
»Ich bin kein Verräter.«
»Verräter, verstehe«, sagte Schwarz und fixierte ihn. »Wie ernst meinen Sie es eigentlich mit Ihrem Ausstieg?«
Loewi machte ihm ein Zeichen, sich zu mäßigen.
»Sie haben ein Tattoo der
Deutschlandtreuen
am Hals, Herr Kessler. Das werden Sie Ihr Leben lang nicht mehr los. Die Frage ist, wie sieht es in Ihrem Hirn aus? Wie braun ist es da drinnen noch?«
Marco schaute gequält zu Loewi. »Was will der denn von mir?«
»Herr Kessler«, sagte Schwarz, »ich habe als Polizist eine Menge rückfälliger Knackis kennen gelernt. Deshalb sage ich Ihnen, Sie haben nur eine Chance: Brechen Sie radikal mit Ihrer Vergangenheit!«
»Aber das mache ich doch.«
»Auch innerlich.«
»Ja, klar. Darum bin ich hier.«
»Warum erzählen Sie mir dann nicht von Tim Burger?«
Es war unübersehbar, dass Marco in Panik geriet.
»Hat er sich mal zu seiner Amokfahrt geäußert, Herr Kessler? War es ihm klar, dass es sich bei der Gruppe Jugendlicher um Juden handelte?«
Loewi hielt den Atem an.
»Was? Ich glaube nicht.«
»Dann
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