Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
schwieg sie.
Im Hintergrund hörte Schwarz immer noch die Musik.
Zi bin ich den schuldik, woß ß’gramt sich jid mit lid.
»Bin ich denn schuld, dass reimt sich Jid und Lid, Jude und Lied«, übersetzte Eva und fügte hinzu. »Ich habe beschlossen zu kämpfen, verstehen Sie?«
»Warum erzählen Sie mir das?«, sagte Schwarz und musste an Luisa denken.
»Damit Sie uns nicht im Stich lassen.«
32.
Es war ein unfreundlicher, kalter Morgen. Viel zu kalt für Ende Mai. Die tief hängenden Wolken ließen den Smog nicht abziehen. Loewi wartete schon und hustete in sein Taschentuch. Als Schwarz sein Gesicht sah, erschrak er, so grau und zerfurcht war es.
»Guten Morgen, Herr Loewi.«
»Morgen.«
Sie gingen schweigend die Willibaldstraße entlang. Die Nummer 133 war ein unauffälliges Reihenmittelhaus aus den fünfziger Jahren. Im Vorgarten stand ein mit einer Plane abgedecktes Motorrad ohne Kennzeichen.
Loewi ging voraus. Der Ton der Klingel ließ sie zusammenzucken.
Eine Frau um die vierzig öffnete die Tür einen Spalt.
»Wir haben telefoniert, Frau Kessler.«
»Sie sind der Bewährungshelfer?«
Loewi nickte.
Sie traten ein. Penetranter Geruch schlug ihnen entgegen, eine Mischung aus Katzenpisse und vergorener Milch.
»Ich habe nicht aufgeräumt«, sagte Frau Kessler. Das hätte man bei ihrem Anblick auch gar nicht erwartet.
Im Wohnzimmer balgten sich drei Kätzchen um ein Stofftier. Frau Kessler schob sie mit dem Fuß beiseite und verlor das Gleichgewicht. Schwarz fing sie auf und roch die Prozente.
»Hoppla«, sagte sie.
Er führte sie zum einzigen freien Stuhl. Alle anderen waren durch Stöße von Magazinen, Wäscheberge und DVDs belegt.
»Ich suche Marco«, sagte Loewi. »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Gestern. Gestern Abend hat er mich besucht.« Sie bemühte sich erst gar nicht, ihr Lallen zu unterdrücken.
»Hat er Ihnen gesagt, wo er hinwill?«
Sie grinste. »Er ist ein Schisser.«
»Wo ist er?«, insistierte Loewi.
»In Sicherheit.«
»Wo?«
Loewi blieb ganz ruhig, aber Schwarz hätte die Frau am liebsten geschüttelt. »Wenn Sie was für Ihren Sohn tun wollen, sagen Sie es uns!«
Sein scharfer Ton ließ Marcos Mutter zusammenzucken.
»Ist ja gut. Marco war völlig durch den Wind, verstehen Sie? Der wollte ins Ausland und so. Das geht nicht, habe ich ihm erklärt, das ist gegen die Bewährungsauflagen.«
»Richtig«, sagte Loewi.
»Ich habe ihm den Schlüssel von einer Wohnung gegeben, wo ich immer putze. Der Mann ist auf Urlaub in der Heimat. Russe.«
»Sie putzen?«, entfuhr es Schwarz.
»Ob Sie’s glauben oder nicht. Ich habe nur keine Lust, auch noch hier sauber zu machen, wenn ich schon den ganzen Tag für sechs Euro die Stunde buckle.«
»Die Adresse!«, sagte Schwarz.
»Ist nicht weit von hier, Lautensackstraße. Aber vergessen Sie’s. Von Marco will keiner mehr was.«
Sie stand auf, ging zum Tisch und griff zu einer Pralinenschachtel. Sie öffnete sie. »Da waren mal fünfhundert Euro drin. Aber das ist mir seine Ausbildung wert.« Sie ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.
Und dann begann sie umständlich zu erzählen, dass Marco, der sich von Anfang an mit der Schule schwergetan habe, über ein kostenloses Nachhilfeangebot an die
Deutschlandtreuen
geraten sei. Mit Hilfe zweier Studenten habe er schließlich den Quali geschafft, aber dann sei Schicht im Schacht gewesen. Keine Aussicht auf eine Lehrstelle.
»Das muss man doch verstehen, dass er da frustriert ist. Mama, hat er gesagt, jetzt habe ich schon den Quali und dann schnappen mir die Kanaken die Lehrstellen weg. Deswegen hat er diesen Türken ein bisschen zu hart angefasst.«
»Er hat ihm, um genau zu sein, mit einer Flasche den Wangenknochen zertrümmert und das halbe Gesicht zerschnitten«, sagte Loewi.
Marcos Mutter starrte stumpf vor sich hin, als wolle sie die Bilder der Tat nicht an sich herankommen lassen.
Schwarz konnte seinen Blick nicht von der leeren Pralinenschachtel lösen. Plötzlich wusste er, warum.
»Wem haben Sie das Geld gegeben?«
»Den
Deutschlandtreuen
, habe ich doch gesagt.«
»Wann?«
»Linda ist grade eben gegangen.«
»Linda – Heintl?«
»Ich habe gesagt, Mädel, nimm die Kohle, aber dann lasst ihr meinen Marco in Frieden. Und zwar für immer.«
»Und?«
»Sie hat’s versprochen, und ich glaub’s ihr. Die ist nicht so übel. Der tut es leid, dass es Marco so schlecht geht.«
Loewi schaute Schwarz alarmiert an.
»Sie haben ihr hoffentlich nicht gesagt,
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