Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
zerfließe ich in Selbstmitleid. Widerlich. Das war sein erster klarer Gedanke, seit er die Wohnung der Loewis verlassen hatte.
Trotzdem schaffte er es nicht, Stopp! zu rufen.
39.
Caipirovka ist der einzige Cocktail, von dem man keinen Kater kriegt, hatte Rebecca versprochen. Dann kommen meine Kopfschmerzen vom Bier bei Enzo, folgerte Schwarz. Wahrscheinlich hat er mir absichtlich eine abgelaufene Flasche serviert, um mich zum Wein zu bekehren.
Er versuchte sich aufzusetzen, ohne dabei den Kopf zu bewegen. Es war, als würde der Verkehr auf der Landsberger Straße heute Morgen direkt durch sein Hirn geleitet. Ich trinke nie mehr, gelobte er.
Es klingelte an der Tür.
»Nein!«, schrie Schwarz verzweifelt.
»Hallo!«, rief eine helle Stimme. »Ich bin’s.«
Mann oder Frau? – Jo.
Schwarz stand mit einem tiefen Seufzer auf.
»Überraschung!«, rief der thailändische Kellner und fuchtelte mit seinem Handy herum. »Oh, Sie sind ja nackt.«
Schwarz bedeckte seine Blöße mit den Händen.
»Sie müssen übrigens dringend was für Ihren Körper tun, Herr Schwarz.«
»Bitte?«
»Ihr Fleisch ist ganz schlaff.«
»Schlaff!«, entfuhr es Schwarz entsetzt.
Jo begriff, dass mit dem Ermittler heute nicht zu spaßen war, und ruderte sofort zurück. »Sie sind nur ein bisschen untrainiert. Eigentlich haben Sie einen guten Körper, sehr sexy sogar für Ihr Alter.«
Das wollte Schwarz an diesem Morgen genauso wenig hören. Und schon gar nicht von einem Mann.
»Kannst du mir jetzt verraten, was du willst?«
Jo hielt ihm das Handy unter die Nase. »Das ist er.«
Schwarz sah nur eine verschwommene Farbfläche.
»Wer?«
»Der Kerl, der Ihnen nachspioniert hat. Ich habe ihn gestern Abend zufällig im
Schweizer Hof
gesehen. Ich habe so getan, als wäre ich ein Tourist und würde die schöne bayerische Wirtschaft fotografieren.«
Schwarz nahm Jo das Handy aus der Hand und hielt es in einem seinem Alter angemessenen Abstand. Das Foto zeigte vier Männer an einem Tisch. Drei waren zwischen fünfundzwanzig und dreißig, der vierte um die achtzig Jahre alt. Mit seinem grauen Trachtenanzug und der getönten Brille wirkte er bodenständig und zwielichtig zugleich. Er sprach und stach dabei mit dem Zeigefinger in die Luft. Die jüngeren Männer blickten aufmerksam in seine Richtung.
»Welcher denn?«
Jo deutete auf eine hagere Gestalt, die dem Alten direkt gegenübersaß.
»Sicher?«
»Ja.«
Schwarz betrachtete den Mann eingehend. Er hatte tiefeMagenfalten, einen leicht schiefen Mund und schütteres Haar.
»Hast du mitgekriegt, über was die geredet haben, Jo?«
»Geredet hat nur der alte Mann. Ich glaube, über Amerika.«
»Amerika?«
»Ja, über die Ostküste.
Ostküstenterror , Ostküstentyrannei.
Gibt es diese Wörter?«
»Ich habe sie noch nie verwendet.«
»Und
Ostküstenjuden
?«
Schwarz stöhnte auf. »Ach Gott. Das Märchen vom bösen, die Weltwirtschaft beherrschenden jüdischen Kapitalisten.«
»Das kennen wir in Thailand gar nicht.«
»Macht nichts. Geht auch ohne, Jo. Kann man das Foto ausdrucken?«
»Wenn Sie Bluetooth haben.«
»Klingt nach einer ansteckenden Krankheit.«
Der Thailänder lachte. »Lassen Sie mich mal an Ihren PC.«
Zwanzig Minuten später schob Schwarz im
Portofino
den Ausdruck über den Tisch. Während Loewi die Aufnahme schweigend betrachtete, drückte Schwarz eine Zitrone über seinem doppelten Espresso aus.
»Was machen Sie da eigentlich?«, fragte Loewi.
»Hat Ihre Frau keinen Kater?«
Er schüttelte den Kopf. »Vom Caipirovka bekommt man doch keine Kopfschmerzen.«
Also doch Enzo, dachte Schwarz und schluckte das Gebräu mit Todesverachtung.
»Dass der immer noch sein Unwesen treibt«, sagte Loewi kopfschüttelnd und deutete auf den Alten im Trachtenanzug.
»Wer?«
»Alexander Fritz.«
»Das ist Fritz? Ich dachte, der ist längst tot?«
Loewi war zu kultiviert, um
schön wär’s
zu sagen. »Er fördert angeblich immer noch rechte Parteien, allerdings nur finanziell, intellektuell nimmt ihn sogar dort niemand mehr ernst.«
»Außer Typen wie die drei hier.«
»Haben wir eine Chance, sie zu identifizieren, Herr Schwarz?«
»Ich hoffe es. Ich habe das Foto bereits meinem ehemaligen Kollegen gemailt.«
»Darf ich den Ausdruck behalten?«
Schwarz nickte. »Was ist eigentlich mit Ihrer Tochter Mirjam? Hat sich die Sache aufgeklärt?«
Loewi schüttelte seufzend den Kopf. »Sie ist erst um zwölf nach Hause gekommen und will uns um keinen Preis sagen,
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