Blinde Goettin
Wir wissen, daß es einen dritten Mann gibt. Wir wissen, wer es ist. Ein Riesenskandal. Und wir können nichts machen. Verdammt noch mal rein gar nichts.«
Es gab keinen Grund zum Lachen. Trotzdem kicherten sie auf dem Weg zum Auto, das Hanne ziemlich arrogant genau vor den Eingang gestellt hatte. Ihr Polizeischild lag im Fenster und legitimierte diese grobe Parksünde.
»Wir hatten aber immerhin recht, Håkon«, sagte sie. »Das ist doch ziemlich toll. Es gab einen dritten Mann. Genau, wie wir gesagt haben.« Wieder lachte sie. Diesmal aber resigniert.
Die Wohnung war wie immer. Sie wirkte fremd in all ihrer Vertrautheit. Sicher hatte er sich verändert. Nachdem er drei Stunden saubergemacht und das Ganze mit einer gründlichen Staubsaugrunde über den Teppichboden im Wohnzimmer gekrönt hatte, kehrte seine Ruhe zurück. Dem Bein taten solche Aktivitäten nicht gut. Seiner Seele sehr wohl.
Vielleicht war es nicht richtig, mit anderen darüber zu sprechen. Aber Hanne Wilhelmsen hatte bereits wieder die Leitung übernommen. Sie hatten etwas, das möglicherweise eine Regierung zu Fall bringen konnte. Es konnte aber auch wie ein mißlungener Chinaböller verpuffen. In beiden Fällen würde es einen Höllenlärm geben. Niemand konnte ihnen Vorwürfe machen, wenn sie noch ein Weilchen warteten, sich Zeit ließen. Der Staatssekretär würde ihnen schon nicht davonlaufen.
Dreimal hatte er Karen Borgs Nummer gewählt. Jedesmal war Nils am Apparat gewesen. Es war idiotisch, er wußte doch, daß sie noch im Krankenhaus lag.
Es schellte. Er schaute auf die Uhr. Wer kam denn an einem Dienstagabend um halb zehn zu Besuch? Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, gar nicht erst zu öffnen. Wahrscheinlich wollte ihm irgend jemand zu einem Wahnsinnssonderpreis ein Zeitungsabonnement aufschwatzen. Oder seine unsterbliche Seele retten. Andererseits: Es konnte auch Karen sein. Natürlich war das unmöglich, aber es konnte vielleicht, vielleicht, vielleicht sie sein. Er preßte die Augen fest zusammen, sprach ein stilles Gebet und ging zur Gegensprechanlage. Es war Fredrick Myhreng.
»Ich habe Wein mitgebracht«, sagte er munter, und obwohl Håkon die Aussicht auf einen Abend mit diesem nervigen Journalisten überhaupt nicht verlockend fand, drückte er auf den Knopf und ließ ihn ein. Gleich darauf stand Myhreng in der Tür, eine lauwarme Pizza in der einen und eine Flasche süßen italienischen Weißwein in der anderen Hand. »Weißwein und Pizza!«
Håkon rümpfte die Nase.
»Ich mag Pizza, und ich mag Weißwein. Warum nicht beides«, fuhr Fredrick ungebrochen munter fort. »Spitze. Hol Gläser und einen Korkenzieher. Ich habe Servietten.«
Ein Bier wirkte viel verlockender, und im Kühlschrank standen zwei Halbliterflaschen. Fredrick lehnte dankend ab, er kippte den zuckersüßen Wein wie Saft. Erst nach einer ganzen Weile begriff Håkon, was der Mann von ihm wollte. Als er mit dem Eigenlob fertig war, kam noch mehr.
»Du, Sand«, sagte Myhreng und wischte sich ausgiebig mit einer roten Serviette den Mund ab. »Angenommen, jemand macht etwas, das nicht ganz in Ordnung ist, nichts wirklich Ernstes, meine ich, aber ein bißchen verboten. Und dann findet er etwas heraus, das viel schlimmer ist, das aber andere verbrochen haben. Oder er findet etwas heraus, das die Polizei brauchen könnte. Zum Beispiel. In einem Fall, der viel schlimmer ist als das, was dieser Jemand gemacht hat. Was würdet ihr dann machen? Würdet ihr bei diesem Jemand fünf gerade sein lassen? Auch wenn das, was er gemacht hat, ein bißchen falsch war, aber nicht so schlimm wie das, was der andere getan hat und was nun vielleicht aufgeklärt werden kann?«
Es wurde so still, daß Håkon das schwache Zischen der Kerzen hören konnte. Mit einer Hand schob er den Pappkarton, der nur noch ein paar tote Champignonreste enthielt, vom Tisch und beugte sich vor. »Was hast du gemacht, Fredrick Myhreng? Und was zum Henker hast du herausgefunden?«
Der Journalist schlug verlegen die Augen nieder. Håkons Faust schlug auf den Tisch.
»Fredrick! Was hast du in der Hand?«
Der Rasende Reporter war verschwunden, und wieder saß ein betretener Bube da, der einem erbosten Lehrer seine Schandtat beichten muß. Beschämt schob er die Hand in die Hosentasche und fischte einen kleinen blanken Schlüssel heraus. »Der hat Jørgen Lavik gehört« sagte er verlegen. »Er war unter seinem Safe angeklebt. Oder seinem Aktenschrank, wenn ich mich richtig
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